Anatomie 2
Deutschland 2003, 92 Minuten
Regie: Stefan Ruzowitzky

Drehbuch: Stefan Ruzowitzky
Musik: Marius Ruland
Director of Photography: Andreas Berger
Montage: Hans Funck
Produktionsdesign: Ulrika Andersson

Darsteller: Barnaby Metschurat (Jo Hauser), Herbert Knaup (Professor Müller-LaRousse), Heike Makatsch (Viktoria), Roman Knizka (Hagen), Wotan Wilke Möhring (Gregor), Frank Giering (Sven), Rosie Alvarez (Lee), Felix Kramer (Kurt), Sebastian Nakajew (Wulf), Joachim Bissmeier (Dr. Schinder), Hanno Koffler (Willi Hauser), Boris Pietsch (Manni / Fred), Franka Potente (Paula Henning), Rosel Zech (Dr. Bamberg), August Diehl (Benny)

Trivialer Unfug ohne Schrecken

Die öffentliche Diskussion über ethische Fragen ärztlicher Forschung – Klonbabys und anderes mehr – ist zweifellos ein ernstes Thema über (nicht nur medizinische) Perspektiven unserer Gesellschaft. Wer den hippokratischen Eid der Ärzteschaft mir nichts dir nichts über Bord wirft, schafft sich zugleich eine ganz andere Art von Ethik nach dem Prinzip: Was gemacht werden kann, darf und sollte auch gemacht werden – ein Motto, das schon andere in den Jahren nach 1933 allzu gern auf ihre Fahnen schrieben. Dass sich ein Film, noch dazu einer, der sich als Horrorfilm verkauft bzw. verkaufen will, eines solchen Themas annimmt, ist nicht neu, man erinnere sich schon an „Fleisch“ von Rainer Erler aus dem Jahr 1979, in dem es um illegalen Handel mit Organen ging und um Morde, die dazu um des entsprechenden Gewinns begangen wurden.

In dem Sequel von „Anatomie“ aus dem Jahr 2000 geht es wiederum um unerlaubte medizinische Experimente. Doch was macht Stefan Ruzowitzky aus diesem Thema?

Der von seiner menschlichen Pflicht überzeugte junge Arzt im Praktikum Jo Hauser (Barnaby Metschurat), der selbst einen an Muskelschwund leidenden Bruder (Hanno Koffler) hat, kommt an ein Krankenhaus, an dem Prof. Müller-LaRousse (Herbert Knaup) ein Forschungsteam leitet, das unerlaubte medizinische Experimente durchführt. Künstliche Muskeln werden verpflanzt, den jungen Ärzten selbst, aber auch Patienten. Einer verzweifelt an solchen an ihm begangenen Versuchen und tötet sich vor den Augen von Medizinern und Presse mit einem Skalpell. Das Ärzteteam, zu dem auch die junge Viktoria (Heike Makatsch), der devote Adlatus von Müller- LaRousse, Hagen (Roman Knizka), der zweifelnde Sven (Frank Giering) und der skrupellose, von einer neuen Herrenrasse träumende Gregor (Wotan Wilke Möhring) gehören, weiß, wie man die illegale Forschung und die Beseitigung von Abtrünnigen vertuschen kann. Zudem steht die Forschungsgruppe unter dem Schutz der Krankenhauschefin Dr. Bamberg (Rosel Zech).

Von alldem ahnt Jo zunächst nichts. Und auch die ermittelnde BKA-Beamtin Paula Henning (Franka Potente) und die Jo liebende angehende Ärztin Lee (Rosie Alvarez) können ihn zunächst keines besseren belehren, als er sich voller Enthusiasmus der Gruppe um Müller-LaRousse angeschlossen hat. Nachdem sich Jo selbst künstliche Muskeln hat einpflanzen lassen – computer-überwacht durch einen im Rücken eingebauten Mikrochip –, wird er in die Geheimloge der anti-hippokratischen Ärztegruppe aufgenommen. Er hofft, auf diese Weise auch seinem kranken Bruder helfen zu können, sprich ihm künstliche Muskeln einoperieren zu lassen.

Als er jedoch davon erfährt, dass Müller-LaRousse kein Pardon kennt, wenn es um Menschenleben geht, kommen ihm immer deutlichere Zweifel. Falls er allerdings gegen das Forscherteam handelt, bricht er den Logen-Eid und läuft Gefahr, selbst zum Opfer der Verschwörung zu werden ...

Verschwörung ... das ist einer der Eindrücke, die Ruzowitzkys Film hinterlässt. Ärzte, die gegen gesetzliche Vorschriften forschen, scheinen sich in breitem Umfang und über einzelne Krankenhäuser, ja Länder hinaus verschworen zu haben, um ihre fanatischen Träume zu in die Tat umzusetzen, sprich verbotene Experimente am lebenden Objekt durchzuführen. Herbert Knaup und Rosel Zech sind auserkoren, diese Verschwörer-Bande zu repräsentieren. Wotan Wilke Möhring wurde gewählt, um die Verschwörung mit der entsprechenden herrenmenschlichen Ideologie zu untermauern und der zu bedauernde Joachim Bissmaier muss als Dr. Schinder (welcher Name!) für die Sorte von Ärzten herhalten, die „verkrustetem Denken“ verhaftet geblieben sind. Dazwischen tummelt sich ein doch allzu tumber Jo Hauser, der anfangs als intelligenter Zeitgenosse mit hehren Zielen an das Krankenhaus geht, um in Windeseile auf die Machenschaften der anti-hippokratischen Loge hereinzufallen – wenig intelligent vom Drehbuch gedacht.

Doch es kommt noch schlimmer, als man vielleicht denkt. Heike Makatsch spielt die Verschworene Viktoria und hat gleich zu Anfang des Films nichts besseres zu tun, als den unbedarften Jo mittels Spritzen zu orgastischen Höchstleistungen im OP zu verführen, über die sie zwecks eigener Forschungen Protokoll führt. Und da sie das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden weiß, darf sie ein halbes Dutzend Orgasmen des jungen Kollegen über sich ergehen lassen – einfallsreich? Der arme (?) Jo jedenfalls schreitet am nächsten Tag durch den Speisesaal des Krankenhauses, als ob man ihn dazu verpflichtet hätte, in einem Western einen Sechs-Tage Ritt durch Arizona zu absolvieren. Yippie Ayeeh!!

Und so geht es munter weiter – dieses Spielchen im Stile von Trivialliteratur und Regenbogenpresse. Heike Makatsch darf unglaubwürdig die verrückt gewordene Jung-Ärztin mimen, der am Schluss die Wimperntusche durchs Gesicht rennt, als sie – mit Drogen und Eifer getränkt – an ihren eigenem Verhalten angeblich verzweifelt. Sie und die anderen benehmen sich immer unrealistischer, und das Drehbuch versucht dies mit steigendem Drogenkonsum zu erklären. Das aber geht voll in die Hosen. Was uns Stefan Ruzowitzky vorführt, sind Klischee-Ärzte der bösen Art, einen allzu dämlichen Helden und eine allzu liebevolle philippinische Krankenschwester Lee, die mir allerdings ehrlich gesagt noch am besten gefallen hat – nur: Rosie Alvarez war im falschen Film.

Und in einer Nebenrolle – im Gegensatz zum Vorgängerfilm – darf sich Franka Potente als allzu naive BKA-Ermittlerin (wer glaubt ihr diese Rolle, die sie da spielt?) gebärden, als wenn eine ausgezeichnete Kindergärtnerin plötzlich eine Verschwörung aufdecken soll – mit Standardsätzen gegenüber Jo à la „Auch du wirst ein Opfer sein!“ Zwischendurch fließt – zumeist theatralisch durch Musik und Gestik untermalt – ein Haufen oder auch mal weniger Blut. Horror? Tut mir leid. Aber von Horror, zu deutsch: SCHRECKEN ! spürte ich im Kinosaal überhaupt nichts. Trivialität und Abziehbilder beherrschen die Szenerie – und zum Schluss gibt es einen geläuterten Helden, eine Klinikchefin die weitermacht (und Anatomie 3 damit sicherstellt) sowie einen geknickten Dr. Schinder, der sich der Karriere willen auf die Machenschaften seiner Vorgesetzten einlässt. „Ja, ja, sagt Hänschen, die Ärzte, sind doch alle gleich und alle korrupt.“ Ich fass es nicht.

Die ernste Diskussion um Fragen der Medizin und vor allem die Inhalte und ethischen Grenzen der medizinischen Forschung verkommt in diesem Film nicht einmal zur Groteske, sondern gelinde gesagt zu barem Unsinn. Noch schlimmer. Unser Held sagt an einer Stelle, wenn Müller-LaRousse nicht Leute um die Ecke gebracht hätte, hätte er auch weiter an den Forschungen teilgenommen. Voila!

Nicht nur Heike Makatsch, auch Herbert Knaup und Roman Knizka mit intellektuell-schräger, schwarzer Brille spielen grottenschlecht, eben nach Drehbuch und das bedeutet: Menschen ohne Fleisch und Blut, Seele und Geist. Roman Knizka etwa spielt einen Arzt, der einmal unterwürfig hinter seinem Professor steht, dann Zweifel an einem Mord hat, dann wieder voll hinter den Experimenten steht, dann wieder das Gegenteil usw. Nur, dieses Spiel ist nicht Ausdruck einer innerlichen Hin- und Hergerissenheit, sondern vom Drehbuch vorgeschrieben, um diesen Hagen an bestimmten Stellen als dramaturgischen Katalysator zu benutzen. Barnaby Metschurat – gerade noch hervorragend in „Solino“ (2002) – stürzt in die Tiefen des einfältigen jungen Arztes. Da nützen auch die von Andreas Berger zum Teil eindrucksvoll fotografierten Szenen aus einem Berliner Krankenhaus nichts mehr, um diesem filmischen Unsinn noch irgendeine Bedeutung abzugewinnen. Nein, „Anatomie 2“ ist weder zum Fürchten, noch von inhaltlicher Tiefe gekennzeichnet, sondern schlicht – einschläfernd. Und leider deutet das Ende des Films auf eine Fortsetzung hin.

So help us God!

© Bilder: Columbia Tristar