Breaking the Waves
(Breaking the Waves)
Dänemark 1996, 159 Minuten
Regie: Lars von Trier

Drehbuch: Lars von Trier, Peter Asmussen, David Pirie
Musik: Ian Anderson, Ritchie Blackmore David Bowie, Leonard Cohen, Elton John u.a.
Director of Photography: Robby Müller
Montage: Anders Refn
Produktionsdesign: Karl Juliusson

Darsteller: Emily Watson (Bess McNeill), Stellan Skarsgård (Jan Nyman), Katrin Cartlidge (Dodo McNeill), Jean-Marc Barr (Terry), Adrian Rawlins (Dr. Richardson), Jonathan Hackett (Priester), Sandra Voe (Mutter von Bess), Udo Kier (sadistischer Seemann), Mikkel Gaup (Pits)

Hindurch ... bis an die Grenzen

"Im Philosophieren spricht sich ein
Glaube ohne jede Offenbarung aus,
appellierend an den, der auf demselben
Wege ist; es ist nicht ein objektiver
Wegweiser im Wirrsaal; ein jeder
fasst nur, was er als Möglichkeit durch
sich selbst ist. Aber es wagt die
Dimension, welche Sinn im Dasein
für den Blick auf Transzendenz zum
Leuchten bringt. In einer Welt, die
in allem fragwürdig geworden ist,
suchen wir philosophierend die
Richtung zu halten, ohne das Ziel
zu kennen."
(Karl Jaspers)

Man könnte – ich sage ja nur: man könnte! – Lars von Triers „Breaking the Waves” in Bezug auf die Handlung des Films als etwas abtun, was zutiefst in die Schublade einer realitätsfernen, ja abstrusen Geschichte gehört. Da läuten am Schluss im Himmel über der Bohrinsel Kirchenglocken. Da steht einer wieder auf, der schon totgesagt war, weil eine Frau zu Gott betete, er möge wieder aufstehen. Da opfert sich eine andere Frau, indem sie sich freiwillig in die Hände zweier sadistischer Schurken begibt, die sie so schwer misshandeln, dass sie an den Folgen dieser Verletzungen stirbt. Wer handelt so? Und warum erzählt Lars von Trier eine solche Geschichte – ein mit der Handkamera fotografiertes Melodram?

Doch Kurzschlussreaktionen auf einen solchen Film – und überhaupt in bezug auf Filme dieses Regisseurs – sind kaum angebracht. Voreilige Schlussfolgerungen angesichts der „reinen” Handlung ebensowenig. „Breaking the Waves” erzählt nicht nur eine Geschichte, sondern gleich mehrere, oder besser gesagt: Hinter dieser Geschichte verbergen sich verschiedene parallele Erzählstränge oder Lesarten, die es dem Betrachter nicht ganz einfach machen, zu ergründen, welche Substanz letztlich „übrig bleibt”. Lars von Trier schreibt an und in unserer Kultur, und sicherlich lässt der Film verschiedene Interpretationen zu.

Er teilt sich zunächst in sieben Kapitel und einen Epilog („Bess Gets Married“, „Life With Jan”, „Life Alone”, „Jan’s Illness”, „Doubt”, „Faith”, „Bess Sacrifice” und „Epilog: The Funeral”). Klar wird auch, dass die Geschichte der Passion Jesus in der Hauptfigur der Bess nicht nur angepasst ist, sondern ihr mehr als deutlich folgt.

Wir befinden uns auf einer schottischen Insel in den 70er Jahren. Die Atmosphäre ist geprägt von – man kann schon sagen – religiösem Fundamentalismus. Frauen dürfen in der Kirche nicht sprechen und nicht an Beerdigungen teilnehmen. Im Ort haben Männer – Priester und vor allem Dorfälteste – das Sagen. In dieser Umgebung, in der das Überkommene der Sitten und das Raue der Moral den klimatischen und geographischen Umständen zu entsprechen scheint, lebt die junge Bess (Emily Watson), eine in ihrem Verhalten und ihren Worten kindlich erscheinende Frau, die ebenso religiös scheint wie fast alle Einwohner der Insel. Bess hat sich in Jan Nyman (Stellan Skarsgård) verliebt – und er in sie –, der auf einer der Bohrinseln zusammen mit seinen Kollegen und Freunden Terry (Jean-Marc Barr) und Pits (Mikkel Gaup) arbeitet. Unter den misstrauischen Blicken der Einwohner heiratet Bess Jan, den Fremden, und erlebt ihre ersten sexuellen Abenteuer.

Ein herzliches Verhältnis besteht zwischen Bess und ihrer Schwägerin, der Krankenschwester Dodo (Katrin Cartlidge), deren Mann, Bess Bruder, vor einiger Zeit verstorben ist. Dodo ist Schwester und gewisser Weise auch zweite Mutter von Bess.

Nach der Hochzeit muss Jan wieder zur Arbeit auf die Bohrinsel. Und Bess verzweifelt fast darüber. In Zwiegesprächen mit Gott, in denen sie selbst Gottes Antworten auf ihre Gebete spricht, fleht sie darum, Gott möge Jan wieder zurückkehren lassen. Gott ist erzürnt, denn schließlich müsse sich Jan um seine Kollegen und die Arbeit kümmern. Bess solle sich nicht so egoistisch verhalten. Aber Bess sagt Gott: das alles interessiere sie nicht; sie wolle nur Jan schnell wieder bei sich haben.

Und Jan kommt zurück – allerdings mit dem Rettungshubschrauber. Bei einem Unfall wurde er so schwer verletzt, dass er fast vollständig gelähmt in ein Krankenhaus eingeliefert wird. Die Ärzte sehen keine Hoffnung für Jan, jemals wieder aufstehen zu können. Bess jedoch liebt Jan und würde alles für ihn tun. Jan ist verzweifelt, und eines Tages bittet er Bess, sie möge sich einen Liebhaber suchen, weil die Gemeinde eine Scheidung beider nicht erlauben werde (er will keine Last für Bess sein), und ihm dann erzählen, wie es war, damit er – der mit Bess nie wieder schlafen könne – wenigstens auf diese Weise sich erinnern könne, wie es mit ihr zusammen war. Wenn sie dies nicht tue, würde der Verlust der Erinnerung an die Zeit mit ihr ihn in den Tod treiben. Zunächst widerwillig lässt sich Bess nun mit anderen Männern ein, die sie nicht liebt, nur, um Jan am Leben zu halten.

Jan aber geht es zunehmend schlechter. Und Bess glaubt, sie müsse sich als Prostituierte verdingen, damit Jan weiterleben könne. Ihre Umwelt – Dr. Richardson (Adrian Rawlins), der Jan behandelt und sich um Bess sorgt, und Dodo, die Bess liebt – reagieren mit Unverständnis und der Absicht, Bess zu psychiatrisieren oder – wie der Rest der Gemeinde – zum Schluss mit der Ausgrenzung von Bess aus der Gemeinschaft, der Kirche und der Familie ...

Dass die Figur der Bess und ihre Geschichte stark an der Passionsgeschichte angelehnt sind, wird in fast jedem Moment des Films deutlich. Da ist die „Botschaft”, für jemanden anderen das Leid auf sich zu nehmen, da sind die Kinder, die Bess – als sie als Prostituierte geht – mit Steinen bewerfen, als Nutte beschimpfen und sie verfolgen (Steinigung), da ist die Kreuzigung (im Film die schwere Misshandlung von Bess durch zwei Matrosen), da ist der Ausschluss aus der Gemeinschaft, da ist ein Pontius Pilatus in Gestalt des Dr. Richardson, der Bess der Psychiatrie übergeben will, da ist Dodo, die große Ähnlichkeit mit einer der Frauen um Jesus hat usw. Da sind aber auch die Zweifel („Vater, warum hast du mich verlassen”) gegenüber Gottes Wort, die Schicksalseuphorie, jenen Weg des Leidens bis zum Schluss zu gehen, um die Liebe zu erhalten. Und last but not least sind da die Wunder, die wundersame Rettung von Jan vor allem, die Glocken am Schluss des Films, die verkünden, dass Bess sich geopfert hat, damit ein anderer lebt.

Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt, der zentrale, ist die bedingungslose Liebe von Bess zu Jan, in der sich im übertragenen Sinn die Liebe Jesus zur Menschheit sehen lässt.

In Relation zur Passionsgeschichte sind die analogen Momente des Films also mehr als deutlich, allerdings auf der anderen Seite auch die Diskrepanzen. Die ergeben sich vor allem daraus, dass Bess eben nicht Jesus ist, d.h. kein Gott in Menschengestalt. Sie ist „nur” Mensch, wie alle anderen auch. Zum anderen ist Jan nicht die Menschheit, sondern auch „nur” ein Mensch. Diese Differenz ist insofern relevant, als Lars von Trier damit nicht einfach die Passionsgeschichte auf anderem Schauplatz und zu anderer Zeit nacherzählt, sondern quasi die Passion Jesu, wenn man so sagen kann, an der heutigen Realität oder überhaupt an der Realität misst und damit von der christlichen Mythologie, wenn auch nicht von der Religion löst. Was geschieht, wenn ein Mensch, also hier Bess, die Worte Jesu wirklich ernst nimmt und sich ohne Rücksicht auf andere und sich selbst dementsprechend verhält? Man könnte nun schlussfolgern: es passiert das gleiche, was Jesus passierte. Das ist in gewisser Weise, sozusagen vom Ergebnis her auch richtig. Nur, in der Geschichte steckt wesentlich mehr.

Zum einen wirkt Bess anfangs des Films und über weite Strecken unerwachsen, kindlich, naiv, ja, wie Dr. Richardson und zunächst auch Dodo meinen: eben wegen ihrer Kindlichkeit sei sie psychiatriereif. (Erst nach ihrem Tod wird beiden etwas anderes bewusst.) Insbesondere Dr. Richardson bescheinigt Bess und Jan mehr oder weniger ein sadomasochistisches Verhältnis: Jan verlange von Bess, mit anderen Männern zu schlafen, um sich aufzugeilen, seine perversen Phantasien – aus der Verzweiflung seiner Situation heraus – zu befriedigen. Bess verhalte sich masochistisch, weil sie diesem Verlangen bedingungslos nachgebe. Hinzu kommt die zunehmende Ausgrenzung von Bess durch die fundamentalistisch-religiöse Einwohnerschaft als Reaktion auf ihre Bedingungslosigkeit in der Liebe. Dieses Bild drängte sich anfangs auch mir auf, aber die Zweifel daran wurden rasch genährt.

Bess folgt einem Konzept von Liebe, das sie, wie gesagt, bedingungslos verfolgt: Sie will, dass Jan lebt, weil sie ihn liebt. Sie folgt dem Konzept der Liebe Jesus, mit der Einschränkung – wenn denn dies eine ist –, dass sie nicht die Menschheit erlösen, sondern Jan leben lassen will – aus einem Schuldgefühl heraus (denn sie glaubt, dass sie, weil sie Gott um seine vorzeitige Rückkehr von der Bohrinsel angefleht hat, für den Unfall und die Lähmung verantwortlich ist). Ihr Standpunkt und ihre Gefühle sind egoistisch, ihre Liebe ist bedingungslos und ihr Weg ist geradlinig und – dem Konzept entsprechend – konsequent. Es ist aber nicht ausschließlich das Schuldgefühl, das sie dazu treibt. Dodo weiß das z.B. auch ganz genau. In diesem Sinne ist ihr Verhalten schon viel weniger „unerwachsen” und hat schon gar nicht etwas mit Sadomasochismus oder psychischen Defekten zu tun.

Und von diesen Gesichtspunkten aus kann man die Geschichte dann auch „anders”, oder sagen wir: in einem modifizierten Sinne lesen. Lars von Trier, so wage ich zu behaupten, „arbeitet” in „Breaking the Waves” an einer Rekonstruktion des „Konzepts” (das klingt vielleicht etwas verwissenschaftlicht) von Liebe. Entkleidet man die Geschichte für einen Moment der christlichen Verortung im Verhalten von Bess und ließe sie unter weniger drastischen Bedingungen (christlicher Fundamentalismus, Vorurteile etc.) ablaufen, würde sich in Bess Verhalten viel offensichtlicher zeigen, dass Liebe zwischen zwei Menschen bzw. Liebe überhaupt nur gelingen kann, wenn sie keinerlei Bedingungen stellt – und zwar, und das ist genauso wichtig, von beiden Seiten aus.

Dieses „Geben, ohne Nehmen zu verlangen” scheint allerdings nur bei Bess gegeben, denn Jans Verlangen, Bess solle mit anderen Männern schlafen, um ihm durch die Erinnerung an beider Liebe am Leben zu erhalten, ist zwar kein Anzeichen für Sadomasochismus in beider Beziehung, aber vielleicht eines für die „Schieflage” in Bezug auf „Geben, ohne Nehmen zu verlangen”. Stellt Jan hier seine Liebe zu Bess in einen egoistischen Kontext, der zeitweise nichts mehr mit Geben, sondern nur mit Nehmen zu tun zu haben scheint? Funktionalisiert Jan Bess? Nein, denn eigentlich will er „nur“, dass Bess nicht mit seiner Last weiterleben muss; er will, dass sie sich einen Geliebten sucht, weil die Einwohner einer Scheidung nicht zustimmen würden. Und er möchte, dass Bess ihm dann erzählt, wie es mit diesem Geliebten war, um sich beider Liebe erinnern zu können.

Dass Bess trotzdem diesem Verlangen nachgibt, ist jedenfalls kein Zeichen von Masochismus, von Leiden-Wollen, sondern Ausdruck ihres Gefühls, sie könne Jan tatsächlich nur so am Leben halten. Denn dieses Verlangen findet seinen Bezugspunkt in der Liebe zwischen beiden. Insofern ist Bess Jesus wieder sehr nahe, denn in diesem Verlangen und in dem späteren „Verrat” (Judas) von Jan (als er Richardson die Einwilligung gibt, Bess in psychiatrische Behandlung zu geben) drückt sich zwar eine gewisse „Schieflage“ in der Beziehung beider aus. Bedingt ist sie allerdings durch die quälende und verzweifelte Situation eines Menschen in Not, ja in Todesnähe. Jans Verlangen hat daher nichts mit Sadismus zu tun. Es ist die bittere Not, die ihn dazu treibt, und leider erkennt er erst spät – wie alle anderen auch –, was Bess substantiell wirklich getan hat und welche Bedeutung ihr Tun hatte und hat.


Lars von Trier unterzieht also im Grunde die Liebe von Bess und Jan einer harten Prüfung: dem Tod. Hat ihre Liebe Bestand im Angesicht des Todes? Kein Mensch ist und handelt ständig so ideal, dass er in einer solchen Situation nur edel handeln würde. Jan verlangt viel von Bess. Bess gibt alles für Jan. Trotzdem „verrät“ Jan Bess, und einen kurzen Moment hat Bess Zweifel an ihrem Tun.

Nimmt man dies einmal alles so hin, so zeigt sich aber auch ganz deutlich, dass alles und alle um Jan und Bess herum nichts weiter sind als Hindernisse auf dem Weg der Liebe der beiden, vor allem der christliche Fundamentalismus und die Tendenz, Bess zu psychiatrisieren. Insofern ist der Film auch eine Kritik an institutionalisierter Religion und bestimmten Reaktionen auf angeblich „abnormes“ Verhalten, hinter dem sich in Wirklichkeit – nämlich in der Person der Bess, für deren Darstellung Emily Watson vollumfänglich den vom Regisseur vorgezeichneten Weg mitging – eine (ganz praktische) zivilisationskritische Rebellion verbirgt – eine Rebellion gegen die inneren wie äußeren Hindernisse, einem Konzept von bedingungsloser Liebe zu folgen, das durch die Zwänge und Vorgaben einer Zivilisation – samt ihrer ideologischen (sei es institutionell-religiösen, sei es sonstigen) Überzeichnungen – zumeist konterkariert wird durch utilaristische Überformungen allen menschlichen Handelns: also durch die These, dass alles Handeln nützlich (einschließlich eigennützig) sein müsse, auch in der Liebe.

Bedingungslose Liebe – das heißt, um es noch einmal deutlich zu sagen, nicht, sich jemandem zu unterwerfen. Im Gegenteil: Es heißt, jemanden zu lieben, ohne daran Bedingungen zu knüpfen, und das gelingt nur auf Gegenseitigkeit. Lars von Trier rekonstruiert – trotz aller „Haken“, die er in die Inszenierung „einbaut“ – dieses Konzept. Und gerade in der „Kindlichkeit“ im Verhalten von Bess – großartig gespielt von Emily Watson – verbirgt sich letztlich „nur“ eine Art kindlicher Reinheit ihrer Gefühle, ein Bewahren ihrer Erinnerung an das Kind, eine Weigerung, das Kindliche (nicht etwa das Kindische) in sich zu vergessen oder zu verdrängen. Dabei meint Reinheit im Verhalten der erwachsenen Bess eben auch eine Abkehr von sog. zivilisatorischen Errungenschaften. Dies meine ich, wenn ich von zivilisationskritischer Rebellion geschrieben habe. Bess rebelliert gegen die Nützlichkeitskonzepte von Liebe und damit gegen das Einfließen von Macht und Gewalt, Ideologie und Lüge in intime wie überhaupt in menschliche Beziehungen.

Auch in ihrem Verhältnis zu Dodo wird dies besonders deutlich. Keine noch so große Krise kann die Liebe zwischen Dodo und Bess wirklich zerstören. Das wiederum gelingt aber ebenfalls nur, weil auch Dodo keine Bedingungen an ihre Zuneigung zu Bess stellt, auch wenn sie ihr Verhalten lange Zeit nicht begreift.

Letztlich rekonstruiert Lars von Trier damit aber nicht nur ein Konzept von bedingungsloser Liebe, sondern gerade dadurch auch ein Konzept von Transzendenz, weil alles, was Bess oder Jan oder die anderen betrifft, in der Liebe und im Tod ihren Bezugspunkt erhalten. Die fast schon gnadenlose Einbeziehung des (unabdingbaren) Todes als Bezugspunkt ist stets allgegenwärtig. Anstatt also – wie andere – hedonistischen oder utilitaristischen Konzepten zu folgen, „wählt“ von Trier ein transzendentes Konzept. Dies muss nicht unbedingt religiös im Sinne der christlichen Religion verstanden werden. Es bezeichnet jedenfalls die Frage nach unserem Ort im Universum angesichts der Endlichkeit unseres Daseins und welche Bedeutung diese Frage für unser Leben und unser Verhältnis in der Sozialität menschlichen Daseins hat. Im Film zentriert Lars von Trier diese Frage um die Frage danach, was Liebe „ist“. Gerade in den Zwiegesprächen mit Gott wird diese transzendente Rückbeziehung („religio“) merkbar. Denn Bess spricht hier im Grund mit sich selbst, in dem sie – ohne schizoid zu sein – die beiden „Hälften“ ihrer Seele in ein Gespräch treten lässt: die egoistische und die soziale, die, die „nur“ auf das Ich, und die, die auf das „Du“ gerichtet ist. Es ist dieser Kampf in sich selbst, dieses Abwägen, das sie antreibt. Der abstrakte Gott wird hier auf ein menschliches Maß zurecht gestutzt, indem Bess sich in diesen Gesprächen als Rückbeziehung zu sich selbst konstruiert.

Es mag sein, dass Lars von Trier durch die Annäherung der Geschichte um Bess und Jan an die Passionsgeschichte den religiösen Gedanken der Leidensgeschichte Jesu und ihren Sinn ebenso rekonstruieren will (nicht jedoch die Institution Kirche, deren Protagonisten im Film nicht besonders gut wegkommen). Schließlich ist der Regisseur seit einigen Jahren Katholik. Es mag auch sein, dass unserem „gesunden Menschenverstand“, sprich: unserem rationalistisch-zweckbestimmten Denken ein solches Verhalten wie das von Bess antiquiert oder „verrückt“ erscheint.

Gerade die Pausen zwischen den sieben Kapiteln und dem Epilog gestaltet Lars von Trier zudem so, als ob er die ganze Geschichte auch mit einem milden Lächeln betrachtet. Er zeigt farblich gesättigte Landschaftsaufnahmen und lässt Pop-Songs der 70er Jahre dazu spielen. Was von Trier allerdings in fast all seinen Filmen dem Zuschauer zumutet – ja, man kann von einer regelrechten Zumutung sprechen! –, ist, dass er die Geschichte sozusagen um sein Publikum „kreisen“ lässt. Das bedeutet: Es bleibt ein Gefühl, als ob man das alles nicht so ganz greifen kann, als ob jede Erkenntnis sofort wieder mit Zweifel genährt werden soll. Dies bezieht sich auch und vor allem auf unweigerlich aufkommende Begriffe wie „Opfer“ und „Märtyrerin“, die ebenfalls dem rationalistischen Denken weitgehend fremd sind. Gerade hier aber stellte sich mir immer wieder die Frage, ob diese Bess sich nun der christlich motivierten Opferung als Märtyrerin hingibt oder ob ihr Verhalten auf ein tiefes und festes, ja unerschütterliches Gefühl der Liebe zurückzuführen ist. Dass Lars von Trier und Emily Watson den Betrachter zwischen diesen beiden Polen kontinuierlich schwanken lässt, ist meinem Gefühl nach reine Absicht.

Diese Mittel des „Die-Geschichte-Kreisen-Lassens“, die auch z.B. seine Filme „Dancer in the dark“ (2000) oder „Dogville“ (2003) auszeichnen, können einen „wahnsinnig“ werden lassen – in dem Sinne, das man sich immer wieder mit diesen Filmen beschäftigt: jedenfalls ich. Dafür bin ich dem Regisseur „böse“ und dafür danke ich ihm.

© Bilder: Arthaus und Kinowelt
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