Sonatine (1993)
Kikujiros Sommer (1998)
Brother (2000)
Dolls (2002)
Zatoichi - Der blinde Samurai (2003)





Sonatine
(Sonachine)
Japan 1993, 94 Minuten
Regie: Takeshi Kitano

Drehbuch: Takeshi Kitano
Musik: Joe Hisaishi
Director of Photography: Katsumi Yanagishima
Montage: Takeshi Kitano
Produktionsdesign: Osamu Sasaki, Hirhide Shibata

Darsteller: Takeshi Kitano (Aniki Murakawa), Aya Kikumai (Miyuki), Ren Ohsugi (Katagiri), Tetsu Watanabe (Uechi), Masanobu Katsumara (Ryoji)

Brutalität als Lebensweise

Yakuza-Filme sind – in etwa – die japanische Ausgabe von Mafia-Filmen. Yakuza haben ihre eigenen, strengen Regeln. Der japanische Außenseiter-Regisseur „Beat” Takeshi Kitano ist inzwischen bekannt für seine (nur) nach allem äußeren Anschein brutalen Filme, die sich – sei es von seiten der Staatsmacht, sei es von seiten der Yakuza – mit diesem Genre beschäftigt – aber eben auf eine sehr spezielle Weise. Seine Filme sind nicht im eigentlichen Sinne brutal, sondern sie haben Brutalität – mit allem was „dazu gehört” – als Lebensweise zum Thema. So auch in dem 1993 gedrehten 94minütigen Streifen „Sonatine”, der bei uns erst 1998 kurzzeitig in die Kinos kam.

Der Yakuza Murakawa (Takeshi Kitano) wird von seinem Boss Kitajima nach Okinawa geschickt, um dort mit einigen Neulingen des Klans einen Streit zwischen zwei anderen Yakuza-Klans zu schlichten. Schnell stellt sich heraus, dass es diesen Streit nicht gibt und Murakawa selbst Zielscheibe seines Bosses und vor allem von dessen rechter Hand Takahashi ist. Nachdem Murakawa einen ersten Anschlag in einer Kneipe überstanden hat, ziehen sich er und seine Gefolgsleute ans Meer in ein einsames Strandhaus zurück, um das weitere abzuwarten. Aus Langeweile (man hat niemanden umzubringen!) beginnen sie, am Strand Kinderspiele zu inszenieren. Da wird das Ritual von Sumo-Ringern nachgeäfft, man beschießt sich mit Feuerwerk, spielt Russisches Roulette (ohne Kugeln) und anderes mehr. Zu der illustren Gesellschaft stößt noch eine junge Frau. Deren Peiniger erschießt Murakawa kurzerhand, nachdem ersterer die Frau vergewaltigt hatte.

Doch das gewohnte Leben holt die Strandgesellschaft bald wieder ein: Takahashi schickt ihnen einen Killer, der einen der jungen Verbrecher durch einen Kopfschuss tötet. Murakawa erfährt, dass es vor allem Takahashi ist, der ihm sein Revier streitig macht. Der wird kurzerhand – nachdem ihm Murakawa mehrmals in die Beine geschossen hat – mit einer Handgranate in seinem Auto in die Luft gejagt. Murakawa schlägt zurück. Mit einem Maschinengewehr bewaffnet macht er sich zur Versammlung des Klans auf und „mäht” die ganze Gesellschaft nieder ...

Doch nicht diese (Haupt-)Handlung des Films steht – wie in anderen Filmen Kitanos auch – im Vordergrund des filmischen Geschehens. Kitano inszeniert den gewaltsam herbeigeführten Tod, den Mord, als eine Nebensache. Die Brutalität und die auf diese Gewalt eingeschränkte Lebensweise der Handelnden wird als die normalste Sache der Welt dargestellt. Selbst dem „abtrünnigen” Verbrecher, den Murakawa anfangs des Films gefesselt von einem Kran ins Wasser abtauchen lässt, ist bewusst, dass sein Todesurteil gesprochen ist. Er nimmt dies angesichts der tödlichen Situation relativ gelassen hin. Die zuschauenden Yakuza sind eher gelangweilt, und Murakawas ausschließliches Interesse besteht darin zu erfahren, ob es zwei oder drei Minuten dauert, bis der Gefesselte ertränkt ist.

Das für uns Nebensächliche stellt Kitano in den Vordergrund: Als er und einer der jungen Yakuzas Takahashi töten wollen, wählt der junge Yakuza eine Handgranate, weil ihm diese Waffe besonders lieb ist, und jagt Takahashi samt seiner Limousine in die Luft. Endlich hat einmal eine Handgranate funktioniert. Der junge Yakuza ist zufrieden. Murakawa nicht. Denn nun müssen beide vom Strand Richtung Stadt laufen, weil sie kein Auto mehr haben. In einer anderen Szene fährt Murakawa Auto, obwohl er dies nicht gelernt hat, keinen Führerschein besitzt. Er landet – auf kerzengerade Strecke – im Straßengraben. Für die anderen Grund zum Spotten.

Diese Nebensächlichkeiten machen Kitanos Film zur Groteske.

Der Zuschauer wird in die völlig undramatisch inszenierte Normalität der Brutalität auf ebenso gewaltsame Art, aber unscheinbar hineingezogen. Für Murakawa – wie für alle anderen – ist der Tod, der gewaltsame Tod so gewiss, dass Zerstörung und Selbstzerstörung von Beginn an unausweichlich sind: Es ist völlig eindeutig, dass auch er früher oder später eines unnatürlichen Todes sterben wird. Auch die anderen Beteiligten, die nicht zum Klan gehören, die Zuschauer und Mitwisser, die im Fahrstuhl oder in der Kneipe ansehen müssen, wie sich die Yakuza gegenseitig erschießen, wirken völlig unbeteiligt und gefühllos, so, als wenn sie Beobachter eines völlig normalen Geschehens wären.

Die kindlich-spielerischen Strandszenen, in den sich die Yakuza angesichts ihrer Langeweile die Zeit vertreiben, reißen den Zuschauer für einen Moment aus der Normalität der Yakuza heraus; Verbindungslinien werden gezogen. Hat man nicht schon selbst einmal so am Strand gespielt? Doch diese Verbindungslinien sind Schein, nur Zwischenspiel, und liegen doch gleichzeitig in der Logik der Yakuza-Lebensweise.

Kitano komponiert seinen Streifen wie eine kleine, leichte Sonate, setzt auf die Erwartungshaltungen der Zuschauer und durchbricht doch oder gerade deswegen gleichzeitig sämtliche Regeln des japanischen Mafia-Films. Brutalität erscheint nicht als brutal, Angst einflößend, abschreckend, gefühllos, sondern als Gesetz, dem man sich nicht entziehen kann. Murakawa kehrt an den Strand zurück, wo die junge Frau wartet, die sich ihm nahe fühlt. Doch der Yakuza weiß, dass es für ihn kein anderes Leben geben kann – selbst nachdem er seine sämtlichen Widersacher aus der Welt geschafft hat. Er tötet sich. Nur einer kann entkommen. Einer der jungen Yakuza flüchtet in der Dunkelheit, als Murakawa seine Widersacher umbringt. Ein leichter, kurzer, flüchtiger Augenblick von – ja, von Hoffnung oder Ausweg?



Kikujiros Sommer
(Kikujiro no natsu)
Japan 1998, 121 Minuten
Regie: Takeshi Kitano

Drehbuch: Takeshi Kitano
Musik: Joe Hisaishi
Director of Photography: Katsumi Yanagishima
Montage: Takeshi Kitano, Yoshinori Oota
Produktionsdesign: Tatsuo Ozeki

Darsteller: Takeshi Kitano (Kikujiro), Yusuke Sekiguchi (Masao), Kayoko Kishimoto (Kikujiros Frau), Yuuko Daike (Masaos Mutter), Kazuko Yoshiyuki (Masaos Großmutter)

Roadmovie über Freundschaft

Kikujiro (der Regisseur Takeshi Kitano selbst in der Hauptrolle) ist ein ekliger Holzklotz. Er denkt – wenn es darauf ankommt – nur an sich und seinen Vorteil und stößt dabei seine Mitmenschen mit Beleidigungen und Drohgebärden oft vor den Kopf. Kurz: Er hat vor allem mit sich selbst zu kämpfen, und dazu ist ihm fast jedes Mittel recht.

Dann ist da der kleine Masao, der bei seiner Großmutter lebt, der Vater tot, die Mutter – so wird ihm erzählt – lebe weit weg, um Geld zu verdienen; Masao kennt sie nur von Bildern.

Kikujiros Frau kennt ihren Mann und hat sich angewöhnt, dem ungehobelten Klotz ab und an ans Schienbein zu treten, um ihn im Zaun zu halten. Sie kennt auch den kleinen Masao, der in den Sommerferien noch einsamer ist als sonst. Er nimmt seinen Fußball, geht zum Sportplatz, aber niemand von seinen Schulkameraden ist da, nur der Trainer, der ihm sagt, dass in den Ferien kein Training stattfindet. Da steht er nun, der kleine Masao, mitten auf dem großen Fußballplatz mit seinem Ball, ist traurig – und so entscheidet er sich, seine Mutter zu suchen, den langen Weg dorthin anzutreten. Das bekommen Kikujiro und seine Frau mit, und die – nicht auf den Kopf gefallen und wahrscheinlich denkend, ihr Mann soll endlich mal was Vernünftiges tun – verpflichtet ihren Kikujiro, den Kleinen zu begleiten.

Der Film schildert diese Reise der beiden ungleichen Gesellen, mal mit dem Auto, mal zu Fuß, um die Mutter Masaos zu finden. Kikujiro wird nicht müde, wieder einmal alle, den Mann an der Rezeption eines Hotels, Autofahrer oder andere Personen, die den beiden zufällig über den Weg laufen, so mies zu behandeln, wie er das gewohnt ist, um weiter zu kommen. Masao merkt man an, dass ihm dieses Verhalten überhaupt nicht recht ist: „Mit Freundlichkeit kommt man weiter”, meint er, als ein Autofahrer die beiden auf Masaos Bitte mitnimmt. Doch Kikujiros Verhalten ändert sich zunächst kaum. Erst als sie ihr Ziel erreichen und Kikujiro feststellen muss, dass Masaos Mutter inzwischen verheiratet ist und eine kleine Tochter hat, beginnt es in ihm zu arbeiten. Er weiß, dass Masao keine Chance hat, in das Leben seiner Mutter einzutreten, erzählt ihm, seine Mutter sei weggezogen. Masaos Gesicht verrät, dass er dieser Geschichte nicht so richtig glaubt; aber er sagt nichts, weint.

Kikujiro weiß jetzt, was er zu tun hat. Er muss dem Jungen das Gefühl geben, dass er sich mit den Tatsachen abfinden muss und trotzdem ein glückliches Leben führen kann. Die beiden treffen einen jungen Mann, der mit dem Kleinbus durch Japan fährt, und zwei sanfte, ja fast schon ängstliche Motorrad-Rocker, mit denen zusammen Kikujiro auf dem Rückweg nach Hause so manchen Spaß für den kleinen Masao organisiert. Es entsteht Freundschaft zwischen Kikujiro und Masao, langsam, vorsichtig, aber ohne Rückweg ...

Kitano erzählt eine wunderbare Geschichte des Entstehens von Freundschaft zwischen zwei so ungleichen Menschen, die besonders durch den völlig ungewohnten Humor des japanischen Regisseurs einen Schwung bekommt, der einen gar nicht merken lässt, dass der Film 122 Minuten lang dauert. In den Film werden immer wieder Träume, teilweise Alpträume Masaos und Fotos eingeblendet, die Masao von der Reise gemacht hat, und auf denen Kikujiros „Unfälle” festgehalten und ironisch kommentiert sind.

Der Film gewinnt aber auch durch die für mich völlig überraschende Schnitttechnik des Regisseurs. Kitano zeigt eine konfliktträchtige Situation, dann aber nicht, wie der Konflikt ausgetragen wird, sondern nur das – für Kikujiro oft unvorteilhafte – Ergebnis. Nur einige Beispiele: Als Kikujiro das Essen eines auf den Bus wartenden Mannes heimlich entwendet hat, protzt er dem Jungen vor, er solle ruhig alles essen, er selber habe gar keinen Hunger. Dabei hat er doch ein Stück vom Essen versteckt, schleicht hinter die Bushaltestelle, um es heimlich zu essen. Doch die Gaumenfreude fällt ihm hinunter, er sucht das Stück Fleisch – Schnitt – man sieht Kikujiro, mit dem Kopf nach unten in ein Loch gefallen, nur noch mit den Beinen zappeln. Als sich am Schluss Kikujiro und Masao von dem jungen Mann mit Kleinbus verabschieden, zeigt Kitano nicht die handelnden (sich verabschiedenden) Personen, sondern den Kleinbus von hinten, der die Personen nur ahnen lässt. Diese Schnitttechnik ist so raffiniert, dass aus ihr sehr amüsante Szenen entstehen.

Die deutsche Synchronfassung wurde 2000 auf der Berlinale mit dem Liliput-Preis für verhunzte Synchronfassungen ausgezeichnet. Die Originalfassung mit Untertiteln tut dem Verständnis des Films keinen Abbruch – im Gegenteil.



Brother
(Brother)
USA, Großbritannien, Japan 2000, 110 Minuten
Regie: Takeshi Kitano

Drehbuch: Takeshi Kitano
Musik: Jô Hisaishi
Director of Photography: Katsumi Yanagishima
Montage: Takeshi Kitano, Yoshinori Oota
Produktionsdesign: Norihiro Isoda, Anthony R. Stabley, Teresa Visinare

Darsteller: Beat Takeshi alias Takeshi Kitano (Aniki Yamamoto), Omar Epps (Denny), Kuroudo Maki (Ken), Masaya Kato (Shirase), Susumu Terajima (Kato), Royale Watkins (Jay), Lombardo Boyar (Mo), Ren Osugi (Harada), James Shigeta (Sugimoto), Ryo Ishibashi (Ishihara), Tatyana Ali (Latifa)

Yakuza hier, Freundschaft dort

Takeshi Kitano ist bekannt für Filme wie „Hana-bi“ (1997), „Sonatine“ (1993) oder auch „Kikujiros Sommer“ (1999), in denen die strengen Regeln der Yakuza – so etwas wie die japanische Ausgabe der Mafia – in alle Poren des Erzählten gedrungen sind und Brutalität als wesentlicher Bestandteil der Lebensweise der Mafiosi dargestellt wird. Gewalt erscheint hier einerseits als Nebensächlichkeit, weil sie derart präsent, konsequent und dauerhaft erscheint, dass man sich die Handelnden ohne Gewaltausübung kaum noch vorstellen kann. Ein Mord wird zur Banalität, die Hinrichtung eines Konkurrenten, Außenseiters, Verräters zur selbstverständlichsten Sache der Welt. Die handelnden Yakuza morden, wie andere einkaufen oder Kinder erziehen oder irgendeiner anderen alltäglichen Tätigkeit nachgehen. In Kitanos Filmen nehmen die Yakuza zumeist fast völlig den Raum ein, sie scheinen die Zeit, die Geschehnisse zu bestimmen, Schicksal zu spielen.

Andererseits inszeniert Kitano – der sich aufgrund eines Namens, den er sich vor Jahren als Musiker zugelegt hatte, als Schauspieler Beat Takeshi nennt – das Erzählte geradezu „gottlos religiös“ als vorgegebenes Schicksal, an dessen Ende nicht nur viele Leichen den Weg pflastern, sondern auch der Held der eigenen Lebensweise zum Opfer fällt und nur ein winziger Lichtblick auf anderes deutet als die Regeln und das Handeln der Yakuza. In „Sonatine“ etwa flüchtet am Schluss einer der jüngeren Yakuza in die Dunkelheit (während ein anderer dabei ist, seinen Widersachern den Garaus zu machen), um vielleicht ein anderes Leben zu beginnen.

Kitano denkt die Yakuza-Lebensweise zu Ende – und gleichzeitig den japanischen Yakuza-Film. Seine Filme – der Titel „Sonatine“ (kleine, leichte Sonate) etwa weist deutlich darauf hin – sind streng durchkomponierte Szenarien, in denen die besagten Regeln auch das Schicksal der Handelnden vorwegnehmen.

In „Brother“ wagt sich Kitano aus Japan heraus; der Film spielt größtenteils in Los Angeles und erzählt die Geschichte des japanischen Yakuza Aniki Yamamoto (Takeshi Kitano), der infolge eines Gangsterkrieges Japan verlässt und zu seinem jüngeren Halbbruder Ken (Kuroudo Maki) nach Los Angeles fliegt, der einem Drogendealer-Ring angehört. Dem gehören u.a. auch der schwarze Amerikaner Denny (Omar Epps) sowie Jay (Royale Watkins) und Mo (Lombardo Boyar) an. Für Aniki zählt nur eines: Er will hier versuchen, was ihm in Japan nicht gelungen ist, nämlich eine kleine Gang, die mit Drogen handelt, in ein allmächtiges Gangstersyndikat verwandeln.

Um dies zu erreichen, muss Yamamoto die mexikanische Mafia, die italienische Mafia und einige andere Konkurrenten aus dem Weg räumen. Den Yakuza Shirase (Masaya Kato) kann er nach anfänglichem Widerstand für eine Kooperation gewinnen – aber dies gelingt auch nur, weil sich Yamamotos rechte Hand aus Japan, Kato (Susumu Terajima), der seinem Herrn gefolgt ist, vor den Augen Shirases selbst in den Kopf schießt, um die Treue zu Yamamoto zu beweisen und Shirase zu verdeutlichen, dass das Angebot der Zusammenarbeit ernst gemeint ist. Die Möglichkeiten der in Verbrechensangelegenheiten erfahrenen italienischen Mafiosi allerdings hat Yamamoto unterschätzt, und am Ende bleibt kaum jemand aus der Gang Anikis übrig ...

Vordergründig ist „Brother“ eine Gewaltorgie. Ich habe nicht gezählt, wie viele Leichen in knapp zwei Stunden der Film „produziert“; es sind etliche. Doch Kitano wäre nicht Kitano, wenn sich seine Filme darin erschöpfen würden. Der Titel des Films deutet auf die unterschwellig immer vorhandene Thematik, die sozusagen parallel zur Haupthandlung – Aufbau und Fall eines Mafia-Syndikats – verläuft. „Brother“ – das bezieht sich zumindest auf drei Personenkonstellationen, die zwischen Yamamoto und seinem Halbbruder Ken, seinem treu ergebenen Kato und Denny.

Diese Beziehungen sind fundamental unterschiedlicher Art. Die Beziehung zu Ken besteht letztlich nur auf dem Papier. Yamamoto muss raus aus Japan. Ken ist sozusagen sein persönlicher Anlaufpunkt, um in Amerika seine Geschäfte fortzuführen. Zwischen beiden besteht nicht viel mehr als eine funktionale Bruderschaft. Kato hingegen ist Yamamoto bis zum Tod treu ergeben. Er verhält sich streng bis zum bitteren Ende an die Regeln der Yakuza wie kaum ein anderer Mafiosi im Film und tötet sich vor den Augen Shirases selbst, um Yamamoto zu ermöglichen, seine Pläne zu Ende zu führen.

Diese halbfeudale Vasallentreue, gepaart mit dem spezifischen Treueid eines „ehrlichen“ Verbrechers, konterkariert Kitano mit der Beziehung zwischen Yamamoto und Denny. Als Aniki in Los Angeles eintrifft, stößt er zufällig auf Denny, dessen Flasche er versehentlich zerstört. Als Denny sich beschwert, greift Aniki – ganz im Sinne der Regel: Räume alles deinen Plänen Hinderliche aus dem Weg – zu einer Scherbe und drückt sie Denny brutal ins Gesicht, so dass dieser eine schwere Augenverletzung davonträgt. Wenig später müssen beide konstatieren, dass sie Mitglieder der gleichen Bande sind und „vergessen“ den Vorfall aus Geschäftsinteresse. Im Laufe der Handlung kommt es dann allerdings zwischen Yamamoto und Denny zu einer unausgesprochenen Annäherung. Zwischen beiden entwickelt sich eine besondere Form von Sympathie, die sich kaum aus ihrer Kooperation in der Bande erklären lässt. Im Gegenteil: Gegenüber der ansonsten massiv gezeigten Gewaltanwendung – über Strafaktionen wie das Abhacken von Fingern bis hin zu einer Enthauptung in einem Toilettenraum – entwickelt sich die Annäherung zwischen Aniki und Denny geradezu konträr. Erst der Schluss des Films zeigt, wie diametral unterschiedlich hier zwei Tendenzen – das Regelwerk der Yakuza hier, das der Freundschaft respektive Brüderlichkeit dort – inszeniert wurden, von denen erstere lange Zeit die Oberhand hatte.

Anders als in „Hana-bi“ oder „Sonatine“ und erst recht in „Kikujiros Sommer“ mangelt es „Brother“ an der Kitano ansonsten eigenen Komik, einem zumeist trockenen Humor. Nichtsdestoweniger gelang ihm ein spannender und im Vergleich zu den genannten Filmen konsequenter Streifen, der am Schluss wiederum dem einzigen Überlebenden der Bandenkriege die Hoffnung auf ein anderes Leben belässt. Kitano seziert die unterschiedlichen Strukturmerkmale von Brutalität hier, Freundschaft / Brüderlichkeit dort derart haarscharf, dass am Ende deutlich wird, wie unehrlich und hinterhältig der Ehr-Kodex der Yakuza letztlich ist, aus dem wirkliche Freundschaft nicht entstehen kann. Der Tod Anikis symbolisiert das Eingeständnis des Scheiterns von Freundschaft innerhalb des Reglements der Yakuza. Aber immerhin hat Aniki dies erkannt und begeht eine einzige gute, seine letzte Tat.



Dolls
(Dolls)
Japan 2002, 114 Minuten
Regie: Takeshi Kitano

Drehbuch: Takeshi Kitano
Musik: Jô Hisaishi
Director of Photography: Katsumi Yanagishima
Montage: Takeshi Kitano
Produktionsdesign: Norihiro Isoda

Darsteller: Miho Kanno (Sawako, junge Frau), Hidetoshi Nishijima (Matsumoto, junger Mann), Tatsuya Mihashi (Hiro, Yakuza), Chieko Matsubara (Ryouko, wartende Frau im Park), Kyôko Fukada (Haruna Yamaguchi, Popstar), Tsutomu Takeshige (Nukui, ein Fan), Yûko Daike (die junge Ryouko)

Liebe – Schicksal – Erlösung – Tod – Liebe ...

Ein kleiner rosafarbener Plastikball, angetrieben durch den Atem Sawakos, die in ein Kinderspielzeug, eine Art Pfeife, bläst, kann bis zum Mond springen. Eines der schönsten Bilder in „Dolls“: der kleine rosa Ball und der Vollmond. Ein anderes Bild zeigt Sawako und Matsumoto durch eine Landschaft gehen, voll von Bäumen mit weißen Blüten. Haruna und Nukui stehen mitten in einem Garten voll roter Rosen; es duftet stark und frisch. Ja, Frische, die Pracht und Lebendigkeit der Natur, die Fülle, die scheinbare Unerschöpflichkeit und Phantasie der Natur, ihre überwältigende Schönheit und Klarheit, aber auch ihre Geheimnisse bilden den Hintergrund für die Geschichte dreier Paare in Kitanos vorletztem Film (der Schwertkampffilm „Zatoichi“ wurde in hiesigen Kinos noch nicht gezeigt).

Scheinbar ganz andersartig als etwa in „Hana-bi“ (1997), „Sonatine“ (1993) oder „Brother“ (2000), in denen Kitano entgegen der im gängigen Mainstream-Kino verzerrten Darstellung von Gewalt versuchte, ihr in der Visualisierung ihrer „Reinheit“ auf den Grund zu gehen, sie als eine Lebenweise darzustellen, der sich die Protagonisten mit Haut und Haaren verschrieben haben, fließt in „Dolls“ kaum ein Blutstropfen. Es wird ein paar Mal geschossen, ein Messer kommt ins Blickfeld, aber diese Art von Gewalt wird nicht gezeigt, sondern nur angedeutet. Trotzdem ist „Dolls“, wie Kitano selbst äußerte, sein gewalttätigster Film, eine Mischung aus surrealem Zauber und klassischem japanischen Puppenspiel, aus märchenhaften Momenten und streng durch inszeniertem Drama – letztlich ein klassisches Drama, das der europäischen Tradition gar nicht so fern ist, wie man vielleicht meinen könnte.

„You've got to give a little, take a little,
and let your poor heart break a little.
That's the story of, that's the glory of love.

You've got to laugh a little, cry a little,
until the clouds roll by a little.
That's the story of, that's the glory of love.“ [1]

Kitano erzählt die Geschichte dreier Paare. Matsumoto und Sawako waren ein jung verliebtes Paar – bis sich Matsumoto durch den sozialen Druck seiner Eltern und Umgebung bereit fand, traditionsgemäß der Heirat mit der Tochter seines Vorgesetzten zuzustimmen. Sawako zerbricht an dieser Entscheidung, versucht sich umzubringen, bis sie Matsumoto aus dem Krankenhaus holt. Von da an gehen beide – verbunden mit einer roten Kordel – durch japanische Landschaften – kaum ein Wort sagend. Sawako geht fast wie eine Marionette, staksend, manchmal fast humpelnd, und folgt Matsumoto. Wohin? Was suchen sie? Beide sind verletzt, Sawako dadurch, dass Matsumoto sie verlassen hatte, Matsumoto durch die Entscheidung, zu der er sich hatte hinreißen lassen, und ihre Folgen ...

Auch der arme Fabrikarbeiter Hiro hatte eine ihn liebende Freundin, die ihm jeden Tag ein Lunchpaket richtete. Beide saßen auf einer Parkbank während der Mittagspause, bis sich Hiro entschied, seinem Dasein als armer Schlucker zu entfliehen. Hiro wird Yakuza (japanischer Mafiosi) und Ryouko sieht ihn Jahrzehnte lang nicht wieder. Jeden Samstag sitzt sie auf der Parkbank mit zwei Lunchpaketen und wartet auf Hiro. Der ist inzwischen alt geworden und weiß, dass sein Leben so enden wird wie das fast aller Yakuza: er wird von irgendeinem Feind oder Freund ermordet werden. Er erinnert sich an Ryouko, die immer noch jeden Samstag auf der Parkbank sitzt, und lässt sich dorthin fahren ...

Das dritte Paar. Der Popstar Haruna, umhüllt von ihrer einsamen Welt als erfolgreiche Sängerin, wird durch einen Unfall schwer verletzt; eine ihrer Gesichtshälften ist entstellt. Harunas Karriere ist zu Ende. Was bleibt, ist ihre vom Medien-Rummel entsorgte Einsamkeit. Sie sitzt oft verlassen an einem Strand. Einer ihrer Fans, der im Straßenbau tätige Nukui, der Haruna abgöttisch verehrt, ist entsetzt, will Haruna beweisen, dass er ihr ergeben ist wie kein anderer ...

„As long as there's the two of us,
we've got the world and all it's charms.
And when the world is through with us,
we've got each other's arms.“ [1]

Alle sechs Figuren haben sich einem Schicksal unterworfen. Oder sind die ihrem Schicksal „nur“ ausgeliefert? Warum zerschneiden Matsumoto und Sawako nicht einfach die Kordel und verhalten sich als freie, liebende Menschen? Warum versucht Hiro nicht, trotz seines fortgeschrittenen Alters mit Ryouko dem selbst gewählten Schicksal zu entfliehen? Warum verletzt sich Nukui gerade dadurch, dass er sich sein Augenlicht nimmt, anstatt seiner eigenen Einsamkeit zu entfliehen und Haruna als Liebender entgegenzutreten? Warum?

„Dolls“ beginnt mit einer Szene aus einem Puppenspiel, dem japanischen Bunraku. Die Puppen dieses Theaters haben fast Lebensgröße, können mit den Augen rollen, Fäuste ballen und werden von Puppenspielern, den Kurogo, die auf der Bühne für das Publikum sichtbar sind, geführt. Ein Geschichtenerzähler, der Joruri, singt und berichtet. Mit verzerrter Stimme in einer Mischung aus Sprechgesang und zum Teil fürchterlich schrägem Singen kann er das Publikum zum Weinen oder Lachen bringen. Für den Erfolg dieses Puppentheaters, das mit Kinderpuppentheater nichts zu tun hat, kommt es darauf an, dass der Joruri mit dem Shamisen-Spieler harmoniert. Shamisen ist ein altes japanisches Saiteninstrument mit drei Saiten und einem langen Steg. Beim Bunraku entsteht oft der Eindruck, dass nicht die Kurogo die Puppen führen, sondern umgekehrt die Puppen die treibenden Kräfte sind.

Die schicksalhaften Episoden, zumeist von Liebenden, die in tragische Situationen verwickelt sind, z.B. weil ihre Liebe sozialen Normen widerspricht, sind bis en detail durchkomponiert. Die drei Paare in „Dolls“ sind diesen Figuren des Bunraku nachempfunden, und fast könnte man meinen, Kitano lässt ihnen – und damit uns allen – keine Chance, „dem Schicksal“ zu entrinnen. Aber „Dolls“ ist in dieser Hinsicht nicht so eindeutig, wie man meinen könnte. Die vordergründige Ruhe, Stille, Langsamkeit und Wortkargheit des Films wird konterkariert durch die fast zerberstende Tragik und Gewalt, die in der Inszenierung und der Darstellung der drei Paare steckt. Diese Gewalt ist nicht jene des Action-Kinos. Es ist die Gewalt, die sich Menschen auf ganz andere Weise antun, auch eine selbstzerstörerische Gewalt, geboren sozusagen aus der Entscheidung, sich dem Schicksal zu unterwerfen, das man doch selbst gewählt hat.

Aber auch diese Entscheidung ist zweischneidig. Kitano seziert das Verhältnis von bedingungsloser Liebe und schicksalhafter Abhängigkeit. Die rote Kordel ist für Matsumoto und Sawako zum einen das Band, das ihre jeweiligen, aufeinander bezogenen Verletzungen miteinander verknüpft, zum anderen drückt es die Hilflosigkeit aus, einen Weg zu sich (wieder) zu finden. Symbole. Die Parkbank und das Lunchpaket, für Ryouko das einzige Band in der Erinnerung an Hiro.

In der fast zerreißenden Widersprüchlichkeit zwischen der bedächtigen „Langsamkeit“ der Inszenierung und der sich in den Figuren verbergenden, und doch so heftigen und deutlichen Tragik und dem Leiden der Handelnden kommt im übrigen das Kino zum Gipfel seiner spezifischen Bedeutung. Ja, „Dolls“ ist auch ein klares, unumwundenes Plädoyer für das Kino, für das Visuelle, die primäre Bedeutung des Visuellen, auch in unserem Leben. Wenn sich Nukui die Augen aussticht (was nur durch ein Messer angedeutet wird), sich dem Sehen endgültig verweigert, und doch, weil er sehen konnte, noch immer das Sehen sozusagen in seiner Vorstellung „blind“ visualisieren kann (die Erinnerung an das Sehen und die Gegenstände), dann ist dies sowohl das Eingeständnis des Scheiterns Nukuis, als auch Kitanos Versuch, diesem Visuellen, das mit unserem Leid, unserer Tragik, unserer Abhängigkeit, aber eben auch mit dem Ästhetischen, dem Zauberhaften und nicht zuletzt mit der Liebe verknüpft ist, auf den Grund zu gehen.

„You've got to win a little, lose a little,
yes, and always have the blues a little.
That's the story of, that's the glory of love.
That's the story of, that's the glory of love.“ [1]

Für die dem Schicksal Unterworfenen und zugleich sich selbst einem bestimmten Schicksal Ausliefernden gibt es Erlösung nur im Tod oder in der Verzweiflung, die zum Tod führt. Wie mit einem Messer hineingeschnitten wirken die Verletzungen, die Kitano den prallen Bildern der blühenden Bäume, der roten Rosen, der prächtigen Landschaften usw. zufügt. In einem gewissen Sinn leben die sechs Figuren starr in ihrer Erinnerung, die aus nichts anderem zu bestehen scheint als aus ihrem einmal eingeschlagenen Weg. Und doch bleibt am Schluss noch etwas anderes, die Sehnsucht, das Hoffen, aus diesem Schicksal zu entkommen, die Suche nach etwas, das reiner ist, so rein wie die weißen Blüten oder die roten Rosen.

Glück und Unglück, Komik und Tragik, Schicksal und bewusste Entscheidung, Liebe und Hass, Leben und Tod stehen in „Dolls“ so eng miteinander verflochten beisammen, in üppigen Bildern präsentiert, dass einem schwarz vor Augen werden kann.

Kurzum, einer der eindrucksvollsten und besten Filme dieses Jahres.

[1] Bette Midler, The Glory of Love.



Zatoichi – Der blinde Samurai
(Zatôichi)
Japan 2003, 116 Minuten
Regie: Takeshi Kitano

Drehbuch: Takeshi Kitano, nach den Erzählungen von Kan Shimozawa
Musik: Keiichi Suzuki
Director of Photography: Katsumi Yanagishima
Montage: Takeshi Kitano, Yoshinori Oota
Produktionsdesign: Norihiro Isoda

Darsteller: Takeshi Kitano (Zatoichi / Ichi), Tadanobu Asano (Hattori Genosuke), Michiyo Ookuso (Tante O-Ume), Gadarukanaru Taka (Shinkichi), Daigorô Tachibana (Geisha O-Sei), Yuuko Daike (Geisha O-Kinu), Yui Natsukawa (O-Shino, Hattoris Frau), Ittoku Kishibe (Ginzo), Saburo Ishikura (Boss Ogi), Akira Emoto (Pops, Wirt), Ben Hiura (alter Mann in Kneipe), Kohji Miura (Fürst Sakai), Koji Koike (Boss Funahachi)

„Even with my eyes wide open ...

... I can’t see a thing.”

Kann er nun oder kann er nicht – sehen? Zatoichi sieht, wie auch immer. Und Kitano erhebt wohl eine der berühmtesten japanischen Legenden, den ab den 60er Jahren von Katsu Shintaro erfundenen und bis 1997 von ihm auch in etlichen Filmen verkörperten Kämpfer Zatoichi, dessen Geschichten von Kan Shimozawa aufgeschrieben wurden, in den Stand eines nun weltweit bekannten Helden.

Im Spannungsfeld zwischen Blindheit, seherischen Fähigkeiten, die sich nicht nur auf die Kampfkraft und Geschicklichkeit beziehen, und der Frage, ob er nicht vielleicht visuell wahrnehmen kann, streift ein ruhig wirkender Mann, der mit Worten ebenso sparsam, aber auch präzise umgeht wie mit dem Schwert, durch das Japan des 19. Jahrhunderts. Und Kitano ist sich in keiner Weise zu schade, diesen Mann als alten Mann, als einen dem man das Alter am wippenden Gang wie an den blonden Haaren ansieht, zu spielen – den Kopf meist gesenkt, als wenn er blind zur Erde schauen würde, einer, der des öfteren (wie in der Eingangsszene) am Wegesrand sitzt und zu schlafen scheint. Vieles scheint Schein an diesem Helden, einem Masseur und Würfelspieler, der zu den einen freundlich wirkt und sie anlächelt, andere ohne Zögern in Blitzesschnelle ins Jenseits befördert – so etwa die Straßenräuber, die ihm (dem Schlafenden) durch einen Jungen sein Schwert wegnehmen lassen, um Zatoichi den Garaus zu machen, und bis auf wenige, die fliehen, selber das Zeitliche segnen.

Zatoichi schaut seinen Feinden nicht in die Augen; schließlich ist er blind, könnte man sagen. Aber nicht nur das. Er schaut eher dem Schicksal entgegen, an dem es für ihn keinen Zweifel zu geben scheint. Eines Tages, wie es so schön heißt, kommt Zatoichi in ein Nest, in dem rivalisierende Banden miteinander um die Herrschaft ringen und die arbeitenden Bauern und Handwerker ausplündern. Zunächst aber hilft Zatoichi einer Frau beim Tragen, O-Ume, die ihn in ihr Haus aufnimmt und sich eine Massage verpassen lässt. Ihr Holz hackt und stapelt (indem er es über den Rücken nach hinten wirft) der Masseur ebenso präzise, wie er mit dem Schwert umgeht.

Im Dorf herrschen der Bandenführer Ginzo im Verein mit Ogi einerseits, der Clan der Funahachis auf der anderen Seite. Und Ginzo hat sich fest vorgenommen, Funahachi und seine Anhänger auszumerzen. Ein Ronin, Hattori, der Arbeit sucht, um durch das verdiente Geld seiner schwer kranken Frau O-Shino zu helfen, kommt Ginzo gerade recht, als der ihm seine Dienste anbietet. Hattori hat sein Handwerk gelernt.

Noch andere Neuankömmlinge sieht das Dorf, die Geschwister O-Sei und O-Kinu, die als Geishas durchs Land ziehen, wobei O-Sei ein Mann ist, der – um beiden Geld zu verschaffen – als kleiner Junge auf den Strich gegangen war. Sie erzählen Zatoichi, der am Geruch gemerkt hat, dass O-Sei ein Mann ist, ihre Geschichte. Sie suchen nach den Mördern ihrer Eltern, Banditen, die das Vermögen ihrer Familie vor zehn Jahren gestohlen haben.

Und dann wäre da noch der Neffe von O-Ume, der etwas dickliche, sympathische Shinkichi, der seine Zeit lieber in der örtlichen Würfelstube vertreibt und viel Geld verliert, anstatt nützlicheren Tätigkeiten nachzugehen. Zatoichi und Shinkichi kommen sich über das Würfelspiel näher. Denn Zatoichi hört am Fallen der Würfel, ob eine ungerade oder gerade Zahl gewonnen hat. Shinkichi ist begeistert.

Während die Geschwister Ogi als einen derjenigen verdächtigen, der am Mord ihrer Eltern beteiligt war, und ihm seine Dienste anbieten, um Klarheit zu gewinnen, räumt Zatoichi mit dem Schwert in der Würfelstube auf, als man ihn betrügen will. Inzwischen hat Ginzo den Ronin Hattori auf Funahachi und seine Männer angesetzt. Doch Ginzo weiß, dass es noch eine andere Gefahr für seine unumschränkte Herrschaft am Ort gibt: Zatoichi. Im Ort selbst versteckt sich zudem noch jemand, der die wahre Identität Zatoichis kennt und dem der blinde Masseur auf den Fersen ist – bedächtig, behutsam und zielstrebig – wie immer ...

Wer glaubt, diese Geschichte sei bitter ernst, täuscht sich gewaltig. Immer wieder löst Kitano die Brutalität in Komik auf, etwa durch den verrückten dicken Sohn irgendeines Nachbarn von O-Ume, der in knapper Kleidung wild schreiend durch die Gegend rennt, weil er ein Samurai werden will. Oder durch Shinkichi, der drei jungen Dorfbewohnern den Schwertkampf beibringen will (den er selbst nicht beherrscht) und sich dabei (durch eine Übung, die er selbst „erfunden” hat) Prügel einhandelt.

Überhaupt ist der Film ein gelungener Genre-Mix, dem man die Mischung allerdings nicht ansieht, weil die Inszenierung so homogen ist, dass es Freude macht. Kindheitstrauma, Familiengeschichte (Zatoichi, O-Ume, die beiden Geschwister und Shinkichi), Samurai-Film, Komödie – und zum Schluss lässt Kitano das gesamte Ensemble – einschließlich der im Film bereits Getöteten – auf der Bühne zum Tanz antreten, ein ebenso gelungenes wie überraschendes Finale.

Die Dramatik der Samurai-Geschichte – im Dreieck Zatoichi, Hattori, Ginzo – ist für sich genommen klassisch und erinnert in vielem an Kurosawas „Die sieben Sumarai”, aber eben mit der spezifischen Erzählweise und Dramaturgie Kitanos. Die Kampfszenen sind extrem kurz, keine langen Schwertkämpfe, wie man sie aus Martial-Art-Filmen gewohnt ist, dafür in der Knappheit umso effektiver. „Zatoichi” ist kein bluttriefendes Spektakel, sondern in aller erster Linie eine durchdachte, konsequent durchgehaltene Geschichte, in der ein Schwertkämpfer zum Helden eines kleinen Dorfes wird. Die Tragik des Films liegt vor allem in dem Subplot über den Ronin Hattori, der sich auf die Seite der Verbrecher stellt, um seiner Frau zu helfen. Tadanobu Asano, einer der bekanntesten japanischen Jungschauspieler, glänzt in der fast stoisch gespielten Rolle des Hattori.

Wer einen rasanten Schwertkampf-Film erwartet, wird durch „Zatoichi” sicherlich enttäuscht. Das, was an Kampf gezeigt wird, ist allerdings durchaus sehenswert. Kitano legt Wert auf Geschichte und Charaktere, auf eine ihm eigene Mischung aus Tragik und Komik sowie auf eine Moral, die sich nicht in heldenhaft in Szene gesetzten Personen realisiert, sondern sich aus der Geschichte, aus dem Gezeigten selbst ergibt. Gerade der tänzerische und musikalische Schlussakkord lässt spüren, dass Kitano die Sache selbst nicht so ernst nimmt – zumindest nur „zur Hälfte”.

Ein Film voller Gegensätze, voller Zweifel, und doch auch voller Klarheit. Blind oder nicht blind, Samurai, der nicht käuflich ist, kontra Samurai, der sich verkauft hat. Mann als Frau verkleidet. Ein Verbrecher, der sich für etwas anderes ausgibt und im Hintergrund die Fäden zieht. Ein Samurai, der seiner Frau helfen will, aber ihr nur schadet, ein anderer, der einer Frau hilft, indem er das Richtige tut. Eine Linie ist gerade deswegen erkennbar. Ein Hausbau am Schluss zeigt den (filmisch) gelungenen Weg aus der Barbarei und die aus der Geschichte selbst sich erschließende Zusammenfügung einer neuen Familie.

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