Smog
Deutschland 1973, 86 Minuten
Regie: Wolfgang Petersen

Drehbuch: Wolfgang Menge
Director of Photography: Jörg-Michael-Baldenius, Günter Kiesling
Montage: Liesgret Schmitt-Klink
Produktionsdesign: Manfred Lütz

Darsteller: Marie-Luise Marjan (Elvira Rykalla), Wolfgang Grönebaum (Franz Rykalla), Heinz Schacht (Opa Rykalla), Michaela Henner (Andrea Rykalla), Hans Schulze (Grobeck), Doris Gallart (Frau Grobeck), Edda Dohrmann-Pastor (Frau von Schulz), Rudolf Jürgen Bartsch (Regierungsdirektor Engelbrecht), Wilfried Zubries (Timpe, Amt für öffentliche Ordnung), Alf Pankarter (Prof. Steinbrück), Jürgen Hilken (Dr. Schwind), C. W. Koch, Hajo Jahn (Moderatoren), Hans Werner Conen, Gisela Marx, Werner Sonne (Reporter)

„Damit ist der ganze Spuk vorbei”

Es gibt Mechanismen in modernen Gesellschaften, die sich immer wieder, wenn auch in anderen Zusammenhängen, beobachten lassen. Das gilt besonders dann, wenn drängende Probleme angesichts der sekundären Kosten, die bei ihrer Beseitigung möglicherweise oder sicher verursacht werden, zunächst nur von wenigen gesehen, von der Mehrheit aber verleugnet oder als Problem gar nicht wahrgenommen werden. Die Umwälzung der industriellen Produktion ab Mitte / Ende der 70er Jahre angesichts der heute für viele kaum noch vorstellbaren Ressourcenverschwendung und Umweltverschmutzung war zunächst vor allem von der Industrie nicht gewollt. Viele Flüsse waren damals reine Kloaken, in industriellen Ballungszentren herrschte eine Luftverschmutzung, die heutzutage unter den Straftatbestand der schweren Körperverletzung subsumiert werden könnte.

Dieser Themen nahmen sich 1973 Wolfgang Petersen – heute eigentlich nur noch als „Actionfilmer” in Hollywood bekannt – und Wolfgang Menge („Das Millionenspiel”) an – in einer Zeit, in der das öffentliche Bewusstsein für den Schutz vor Lärm, Schadstoffen usw. nicht sehr ausgeprägt war, einer Zeit, in der die ersten Bürgerinitiativen entstanden, die sich gegen die heute unvorstellbaren Ausmaße der Luft- und Wasserverschmutzung und andere Umweltdelikte wandten.

„Smog” ist eine Art semi-dokumentarisches Spiel, eine Mischung aus Dokumentation und Fernsehspiel, gedreht, könnte man sagen, fast in Echtzeit (so wirkt der Film jedenfalls) über vier Tage einer Katastrophe, wie sie bis dahin noch nicht inszeniert worden war. Petersen und Menge zeigen die Familie Rykalla, eine ganz normale Familie in Duisburg. Franz (Wolfgang Grönebaum, bekannt als Egon Kling aus der „Lindenstraße”) ist dabei, den schmierigen Dreck von den Scheiben des Familienautos zu wischen, während Elvira (Marie-Luise Marjan, Frau Beimer aus der „Lindenstraße”) besorgt ist, weil das Baby ständig weint und Schmerzen hat. Opa Rykalla (Heinz Schacht) denkt an Flucht in die Eifel.

Duisburg liegt unter einer nebligen, verdreckten Smog-Glocke. Aber nicht nur das. Der Dreck zieht nicht ab. Es herrscht eine Inversions-Wetterlage (1), und die Meteorologen befürchten, dass dies noch etliche Tag andauern wird. In den Messstellen registriert man ein ständiges Steigen der Schwefeldioxidwerte – die einzigen, die dort gemessen werden –, in den Kaufhäusern sieht man Frauen, deren Nylonstrümpfe plötzlich kleinere und größere Löcher aufweisen. Der Nachrichtensprecher (Egon Hoegen) verkündet schließlich den Beschluss der Landesregierung aufgrund der Empfehlungen der Landesanstalt für Immissionsschutz: Smog-Alarmstufe 1. Doch diese Alarmstufe bedeutet nicht viel mehr, als dass man die Autofahrer z.B. bittet, ihre Wagen nur im dringenden Notfall zu benutzen.

In einem TV-Studio wird ständig über die aktuelle Situation berichtet. Bei einem Fußballspiel kippt ein Spieler um und hat erhebliche Atemprobleme. Schließlich ist ein erster Toter zu beklagen. Ein Mann am Steuer erleidet einen Herzanfall und stirbt. Der am Ort anwesende Arzt (Jürgen Hilken) glaubt, der Smog sei schuld am Tod des Mannes. Doch Prof. Steinbrück (Alf Pankarter) relativiert im Studio des Fernsehens: Der Mann wäre früher oder später sowieso gestorben, weil er herzkrank gewesen sei. Der Smog habe dies nur um ein paar Tage beschleunigt.

Bei diesem Zynismus, der die wirklichen Gefahren nicht nur ausklammert, sondern auch menschenverachtend ist, bleibt es nicht. Es herrscht Verdrängung der wirklichen Gefahren. Und das, obwohl die Krankenhäuser sich mit Smog-Geschädigten füllen und immer mehr Menschen mit Kreislauf- oder Herzbeschwerden auch sterben.

Auch die Industrie wiegelt ab. Die uralten Argumente tauchen auf. Eine Stilllegung oder auch nur Einschränkung der Produktion würde unabsehbare Folgen für Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum nach sich ziehen. Und der Chef der GLOBAG, Grobeck (Hans Schulze), geht noch weiter: Man könne die Produktion auch in andere Städte verlegen oder gar ins Ausland verlagern. Auch ein immer wieder vorgetragenes „Argument“.

Nur wenige demonstrieren. „Qualm mir das Lied vom GLOBAG-Tod” ist u.a. auf Transparenten zu lesen. Gegner des Unternehmens argumentieren – wie damals en vogue – mit Kapitalismuskritik. Auch sie blenden aus – nämlich die Tatsache, dass auch in den realsozialistischen Ländern, sowohl in der Sowjetunion, als auch in China, die gleichen Folgen industriell hemmungsloser Produktion zu beobachten sind.

Petersens semi-dokumentarisches Horror-Gemälde einer in keiner Weise unrealistischen Umweltkatastrophe, die in Wirklichkeit eine Krise industrieller Produktion darstellt, schockte 1973 das Publikum in einer Zeit, in der Umweltschutz noch ein Fremdwort war und die wenigen Menschen, die sich für den Schutz der natürlichen Ressourcen und der Menschen in Ballungszentren wie dem Ruhrgebiet einsetzten, als Spinner, Außenseiter oder linke Demagogen, als Gegner der Marktwirtschaft diffamiert wurden. Es wundert kaum, dass ausgerechnet Wolfgang Menge das Drehbuch zu diesem Horrorszenario schrieb, ein Autor, der ein Feingefühl für die Probleme der modernen Gesellschaften hatte.

Eine besondere Mixtur machte „Smog” zu einem erschreckenden Erlebnis: Gestellte, aber durchaus echt wirkende und von wirklichen Journalisten gespielte Reportagen, Fernsehsendungen und Interviews wechseln mit gespielten Szenen der Familie Rykalla und der Industriellenfamilie Grobeck und mit den Bemühungen der Behörden und politischen Verantwortlichen, die Krise in den Griff zu bekommen. Und gerade in diesem letzten Punkt zeigt sich in „Smog” die Unfähigkeit staatlicher Behörden, die Übel an der Wurzel zu packen. Zwar wird der Autoverkehr in etlichen Räumen während der Smog-Alarmstufe 2 verboten; zwar werden Appelle an die Bevölkerung losgelassen, auf das Auto zu verzichten und Obst und Gemüse nicht außerhalb der Geschäfte zu verkaufen; zwar wird ein Mundschutz empfohlen, der angeblich die giftigen Stoffe von den Atemwegen fernhalte. Aber das alles täuscht nicht darüber hinweg, dass die Behörden nur auf eines hoffen: die Änderung der Wetterlage, d.h. der Inversions-Wetterlage. Danach sei alles wieder im Lot, wird behauptet.

Und tatsächlich verkündet ein Regierungsdirektor namens Engelbrecht nach der Änderung des Wetters auch das Ende der Krise, weil der Dreck und Dunst jetzt endlich abzieht. „Damit ist der ganze Spuk vorbei”, meint Engelbrecht. Das Baby der Rykallas allerdings und etliche andere Menschen sind tot.

Am Schluss bleibt das, was – abseits der konkreten industriellen Krise – auch noch heute aktuell ist: Wirkliche Krisen werden behördlich verwaltet und abgewickelt, ohne dass deren Ursachen bekämpft worden wären. Erst viel später setzt durch die Parteigründung der Grünen und die Arbeit von Bürgerinitiativen ein langsames Umdenken ein, das sich erst Jahre später dann auch in der Programmatik und Praxis anderer Parteien wiederfindet. Zunächst aber stehen behördliche Unfähigkeit und Unwilligkeit, Leugnung der wirklichen Gefahren an der Tagesordnung.

Das Perfide solcher Situationen und Entwicklungen aber ist ein Prozess, der dem einer wirklichen Aufklärung – ganz im Kantschen Sinn des Ausgangs des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit – und damit auch dem demokratischen Prinzip diametral entgegengesetzt ist: ein Prozess der Gegenaufklärung, des Verschleierns.

Mit „Smog” haben Petersen und Menge damals nicht nur ein wichtiges Stück Zeitgeschichte festgehalten. Sie haben auch diese Mechanismen, fast ausschließlich durch dokumentarische Mittel und insgesamt im Stil einer Dokumentation, d.h. unter Verzicht auf dramatische und dramatisierende Mittel, offengelegt. Und sie haben bloßgestellt, wie ein Konglomerat aus Behörden, Industrie und Medien dafür sorgte, dass dieser Prozess der Gegenaufklärung zumindest für eine gewisse Zeit wirken konnte.

Auch heute noch ist „Smog“ ein sehenswertes Horrorszenario, das von seiner Aktualität in Bezug auf das staatliche „Verarbeiten“ tiefgreifender gesellschaftlicher Krisen nichts verloren hat.

(1) vgl. zu dieser Inversionswetterlage die Informationen bei Wikepedia

© Bilder: Westdeutscher Rundfunk