Tisch und Bett
(Domicile conjugal)
Frankreich, Italien 1970, 100 Minuten (DVD: 93 Minuten)
Regie: François Truffaut

Drehbuch: François Truffaut, Claude de Givray, Bernard Revon
Musik: Antoine Duhamel
Director of Photography: Néstor Almendros
Montage: Agnès Guillemot
Produktionsdesign: Jean Mandaroux

Darsteller: Jean-Pierre Léaud (Antoine Doinel), Claude Jade (Christine Darbon Doinel), Hiroko Berghauer (Kyoko), Barbara Laage (Monique), Danièle Girard (Ginette), Daniel Ceccaldi (Monsieur Darbon), Claire Duhamel (Madame Darbon), Daniel Boulanger (Tenor), Silvana Blasi (Silvana), Pierre Maguelon (Freund Césarins), Jacques Jouanneau (Césarin), Claude Véga (Der Würger), Jacques Robiolles (Cadger), Pierre Fabre (alberner Kerl)

Immer am Rand ...

„Antoine Doinel will die Gesellschaft
nicht verändern. Er misstraut ihr,
schützt sich vor ihr. Aber er ist voll
guten Willens und sucht Anerkennung.”
(François Truffaut über sein Alter ego)

Wie eindeutig doch durchläuft Antoine (Jean-Pierre Léaud) die Stadien einer durchschnittlichen bürgerlichen Biografie! Nach seiner Flucht aus der Erziehungsanstalt, seinen Liebesabenteuern und gescheiterten Jobs hat er nun seine Jugendfreundin Christine (Claude Jade) geheiratet. Man teilt Tisch und Bett, ist albern und ernst miteinander und genießt das Leben. Wiederum baut Truffaut wie in den beiden ersten Episoden der Doinel-Geschichte („Sie küssten und sie schlugen ihn”, „Geraubte Küsse”) ein bezaubernd genaues und in weiten Teilen komisches Bild seines Helden und der Umgebung, in der er lebt.

Ein Hinterhof ist Schauplatz der Geschichte. Wir treffen auf Ginette (Danièle Girard), die Bedienung eines kleinen Bistros, die Antoine unbedingt in ihr Bett lotsen will, der jedoch an ihr nicht interessiert ist, ein paar Handwerker, Monsieur Desbois (Jacques Rispal), einen Nachbarn, der ständig aus dem Fenster schaut und seine Wohnung seit etlichen Monaten nicht verlassen hat, einen geheimnisvollen Mann, der niemanden grüßt und den seine Nachbarn für den Würger halten (Claude Véga), der in letzter Zeit mehrere Kinder getötet haben soll, und auf die direkten Nachbarn Antoines, einen Tenor (Daniel Boulanger), der immer in Eile ist, während seine Frau immer zu spät dran zu sein scheint, weshalb der Sänger ihren Mantel und ihre Tasche die Treppe hinunterwirft, damit die Angetraute schneller die Wohnung verlässt.

In dieser äußerst sympathischen und von Komik durchzogenen Szenerie steht unser Antoine und färbt Blumen für ein Geschäft, das vorne an der Straße liegt. Zu mehr hat er es nicht gebracht. Christine hingegen gibt kleineren und größeren Kindern Geigenunterricht. Antoine experimentiert mit den Farben und will das „absolute Rot” erfinden – bis ihm ein Malheur passiert und beim Färben der Blumen diese nicht rot erstrahlen, sondern – wie durch ein Unkrautvertilgungsmittel bewirkt – den Geist endgültig aufgeben.

Es hat sich also nicht viel geändert bei Antoine. Nach wie vor geistert er durch die Welt, die nicht immer so will wie er, wobei er selbst nicht so genau weiß, was er will. Antoine lässt sich treiben, tut sein Bestes, buhlt um Anerkennung, mal hier, mal da, und ergeht sich in einem Leben, in dem er sich selbst als die einzig wirklich bedeutende Person sieht, während alle anderen ihm letztlich gleichgültig zu sein scheinen.

Christine, die Antoine wirklich liebt, aber vielleicht auch noch zu unerfahren ist, um genau zu wissen und zu spüren, was das eigentlich bedeutet, ist schwanger. Antoine erlangt durch einen – wie schon oft in seinem Leben – merkwürdigen Zufall einen Job in einer amerikanischen Firma: er soll in einem künstlich angelegten Teich vor dem Firmengebäude Modellschiffe fernsteuern – wieder einmal eine Art „gestoppter” Job, der ihm nichts bietet.
Aber Antoine ist auch das gleichgültig.

Er tut, was er kann.
Er kann, was er tut.

Und rein zufällig lernt er dort die junge, schwarzhaarige, hübsche Japanerin Kyoko (Hiroko Berghauer) kennen, verliebt sich in sie – was das bei Antoine auch immer heißen mag – und Kyoko verliebt sich in ihn.

Wie Christine hinter dieses Verhältnis kommt, zeugt von Truffauts ganz speziellem Humor: Blumen mit Liebesbezeugungen auf kleinen Zetteln, die Kyoko in die Blüten gesteckt hatte, landen bei Christine auf dem Tisch. Als die Stängel sich beugen, fallen die Zettel heraus.

Aus ist es (vorerst) mit der Ehe. Und als Antoine bei einem seiner vielen Abschiede von Christine fast schon emphatisch zu ihr sagt: „Du bist meine Schwester, meine Mutter, meine Tochter”, antwortet sie lapidar: „Und es wäre schön gewesen, wenn ich auch Deine Frau hätte sein können.”

Komisch auch, wenn sich Antoine ausgerechnet bei Christine beschwert, Kyoko würde kaum reden, aber immer lächeln und viel essen. Und eigentlich sei nicht viel mehr zwischen ihnen.

Truffaut gelang mit „Domicile conjugal”ein wunderbares, ja geradezu erstaunliches „Nebeneinander”. Er zeigt eine normale, bürgerliche Ehe im Entstehen, im Werden, im Vergehen. Die Leichtigkeit der Inszenierung, das Lockere, das sich in den Verhältnissen der Akteure auftut, das Komische, das sie begleitet, und das Dramatische, das sich angesichts solcher doch eher tragischer, gescheiterter Beziehungen mit all dem verbindet, werden beispielsweise auch plastisch in einer Szene, in der Antoine und Christine über den Roman sprechen, den er schreibt, in dem er angeblich seine Vergangenheit aufarbeiten will, was Christine wie folgt kommentiert:

„Ich mag diese Art über deine
Kindheit zu schreiben nicht, bei
der du deine Eltern durch den
Dreck ziehst. Ich weiß nicht viel,
aber eines weiß ich: Wenn du die
Kunst benutzt, um Rechnungen
zu begleichen, dann ist das keine
Kunst mehr.”
(Christine zu Antoine)

Man könnte diese Äußerung als Leitspruch über den ganzen Film spannen. Antoine, der angehende, weitergehende, bis zu Ende gehende Individualist liebt das Leben: SEIN Leben. Aber Truffaut ist der letzte, der seinen Helden verurteilen oder abkanzeln würde. Er findet ihn sympathisch, er stellt ihn als einen harmlosen Mann dar, der nichts wirklich Tragisches anrichtet, keinen Mord oder andere schlimme Dinge, der keine wirklich nicht verkraftbaren Verletzungen verursacht.

Das durchaus Kritische bleibt dabei allerdings nicht auf der Strecke. Es ist sicherlich auch etwas Selbstkritisches. Es ist dieses Sich-Nähern an eine besondere Form der Verantwortungslosigkeit, jenes (noch) harmlosen Egoismus, der immer am Rande des Egozentrischen tänzelt. Und es ist analog und parallel dazu eine Kritik an der bürgerlichen Ehe, nicht im herkömmlichen Sinn, sondern eher unter dem Aspekt, dass Truffaut deren selbst gestellten Ansprüche ernst nimmt und die Beziehung zwischen Antoine und Christine daran misst.

Man könnte auch sagen: die „einfältig”, „naiv”, „kindlich” liebende Christine trifft auf den „einfältig”, „kindlich”, „naiv” nur sich selbst liebenden Antoine, der nicht einmal weiß, was Liebe ist. Und nur so – durch diese beiderseitige „Naivität”, dieses unterschiedlich Unausgegorene auf beiden Seiten – sind beide ein Jahr nach der vorübergehenden Trennung wieder zusammen. Und die Frau des Tenors kommentiert dieses „Zusammensein”, als es jetzt Antoine ist, der den Mantel und die Handtasche Christines das Treppenhaus hinunter wirft wie früher der Tenor, mit den Worten: „Jetzt lieben sich die beiden wirklich.” An diesem Punkt glaubt man sich fast rückversetzt in eine klassische Komödie. Das Scheitern wird in sein Gegenteil verkehrt, einen Erfolg. Und beide leben diesen „Erfolg” – bis zum Ende. Aber das ist das Thema eines Films, den Truffaut ursprünglich gar nicht drehen wollte: die letzte Episode, „Liebe auf der Flucht”, einen Film, den der französische Regisseur neun Jahre später drehen sollte.

So geht Antoine Doinel seinen Weg in die Integration, immer ein bisschen am Rande des Scheiterns, am Rande der Rebellion, am Rande der Verantwortung, ohne je seinen Individualismus als etwas zu verstehen, was abseits egozentrischer Einfältigkeit auch existieren könnte. Nur in einigen wenigen Momenten lebt das vage Gespür Antoines für Liebe auf, etwa wenn er Christine bittet, ihre neue Brille im Bett wieder aufzusetzen, weil sie ihr gut stehe und er sie so möge. Es sind diese Momente abseits von Antoines sonst herrschender Gleichgültigkeit, die „Tisch und Bett” eben auch zu einer romantischen Komödie werden lassen – und Antoine zu einem sympathischen Typ.

© Bilder: mk2 und Concorde Home Entertainment
Screenshots von der DVD