Die Schatzinsel
Frankreich, Deutschland 1966, 344 Minuten
Regie: Wolfgang Liebeneiner, Jacques Bourdon

Drehbuch: Walter Ulbrich, Georges Neveux, nach dem Roman von Robert Louis Stevenson
Musik: Jan Hanuš, Luboš Sluka
Director of Photography: Roger Fellous, Guy Suzuki
Montage: Victor Lamy
Produktionsdesign: Jaques Paris

Darsteller: Michael Ande (Jim Hawkins), Ivor Dean (Long John Silver), Georges Riquier (Dr. David Livesey), Jacques Dacqmine (Squire John Trelawney), Jacques Monod (Kapitän Alexander Smollet), Dante Maggio (Bill Bones), Ilsemarie Schnering (Mrs. Hawkins), Jacques Godin (Israel Hands), Jean Mauvais (Blinder Pew), Jean Saudray (Ben Gunn), Sylvain Lévignac (Schwarzer Hund), François Darbon (Marc Hawkins), Leroy Haynes (Abraham Gray), Lucien Hubert (Redruth), Roger Lumont (Tom Morgan), Hellmut Lange (Jim Hawkins als Erzähler)

Jugendträume ...

„Fünfzehn Mann auf des toten Mannes Kiste,
Jo-ho-ho und die Buddel voll Rum,
Teufel und Trunk strich den Rest von der Liste,
Jo-ho-ho und die Buddel voll Rum!“

Ich muss zehn oder elf Jahre alt gewesen sein. Es war wohl im Dezember, als ein Vierteiler für das Fernsehen angekündigt wurde – ein Piratenfilm, ein Film, der im heißen, schwülen Sommer im 18. Jahrhundert spielte, und den mein Bruder und ich im kalten Winter des Jahres 1966 anschauen würden, genauer am ersten Weihnachtstag dieses Jahres. Und auch in den folgenden Jahren wurde dieser Abenteuerfilm jedes Jahr vor Weihnachten wiederholt. Damals nannte man solche Filme „Straßenfeger“. Unter diese Rubrik gehörten Francis-Durbridge-Krimis ebenso wie dieser Film: „Die Schatzinsel“ nach dem Roman von Robert Louis Stevenson. Dazu gehörten auch „Der Seewolf“ (1971, mit Edward Meeks und Raimund Harmstorf) und „Lederstrumpf“ (1969, mit Hellmut Lange und Pierre Massimi), „Robinson Crusoe“ (1964) und natürlich „Tom Sawyers Abenteuer“ (1968, mit Lina Carstens als Tante Polly). Wenn heute Jugendliche den nächsten Blockbuster im Kino herbeisehnen, so wir damals diese meist mehrteiligen Fernsehproduktionen, viele übrigens unter Federführung des Produzenten und Drehbuchautors Walter Ulbrich. „Die Schatzinsel“ – oft verfilmt – wurde in vier Teilen gezeigt und dauerte insgesamt 344 Minuten. Nach jedem Teil fieberten wir dem nächsten entgegen, der jedoch erst eine Woche später oder zumindest ein paar Tage später gesendet werden sollte.

In den Hauptrollen sahen wir damals einen jungen Kerl namens Michael Ande, gerade 22 Jahre alt, der als Kinderstar in den 50er Jahren in einigen Filmen und später vor allem in „Der Alte“ zu sehen war. Und Ivor Dean als gerissener Pirat Long John Silver, ein begnadeter Schauspieler, der leider schon 1974 verstarb. Man drehte die berühmt gewordene Geschichte in der Bretagne, in Korsika und am Gardasee.

England 1758. An der zerklüfteten englischen Küste verlebt in dem alten Seemannsgasthaus „Admiral Benbow“ der junge Jim Hawkins mit Mutter (Ilsemarie Schnering) und Vater (François Darbon) eine unbeschwerte Jugend – bis eines Tages ein merkwürdiger, herunter gekommener alter Seemann namens Bill Bones (Dante Maggio) in der Kneipe auftaucht. Bones säuft, benimmt sich nicht gerade anständig und erzählt, er würde verfolgt. Seine Seemannskiste hütet er wie seinen Augapfel, und er beauftragt eines Tages Jim für ein paar Münzen jede Woche, nach einem Mann Ausschau zu halten, der ein Holzbein trägt. Zunächst hält Jim die Gruselgeschichten, die Bill Bones erzählt, für Seemannsgarn. Doch schon bald muss er feststellen, dass Bones die Wahrheit erzählt hat. Einige merkwürdige Gestalten, darunter einer mit Namen Schwarzer Hund (Sylvain Lévignac) und ein anderer blinder Schurke (Jean Mauvais), suchen nach Bill Bones – vor allem aber nach einer geheimnisvollen Karte von einer Insel, auf der der längst verstorbene Pirat Flint seine gesamte Beute versteckt haben soll.

Jim kommt den Schurken zuvor und nimmt die Karte an sich. Bill Bones stirbt an einem Herzanfall, weil er den vielen Alkohol nicht verträgt, den er täglich konsumiert hatte, und die Angst vor den Piraten ihm den Rest gibt. Dr. Livesey (Georges Riquier), der auch Jims Vater ärztlich versorgt, hatte Bones gewarnt – vergeblich. Livesey und der Gutsherr Trelawney (Jacques Dacqmine) erraten, dass Jim die Karte mit der dort aufgezeichneten Schatzinsel in Gewahrsam genommen hat. Und alle drei beschließen, auf große Fahrt zu gehen, um die geheimnisvolle Insel zu suchen.

Trelawney organisiert ein Segelschiff und den bärbeißigen Alexander Smollet (Jacques Monod) als Kapitän. Und er findet einen Koch namens John Silver (Ivor Dean), dem eine Seemannskneipe in Bristol gehört und der offenbar bei vielen angesehenen Leuten in der Hafenstadt beliebt zu sein scheint. Silver, ein zuvorkommender, freundlicher Mann, verspricht Trelawney, die nötigen Seeleute anzuheuern, damit man in See stechen kann. Was Trelawney, Dr. Livesey, Jim und auch Kapitän Smollet aber nicht wissen: John Silver war es und ist es, der hinter Bill Bones und der Schatzkarte her ist – und der natürlich seine eigenen Männer, u.a. den skrupellosen Israel Hands (Jacques Godin), anheuert.

Am 23. Mai 1758 sticht die „Hispaniola“ in See. Erst Wochen später erfährt Jim auf hoher See zufällig, als er nachts in einem der Beiboote liegt, was ihm und seinen erwachsenen Freunden droht: Er bekommt ein Gespräch zwischen Silver, Israel Hands und einem dritten Piraten mit, die darüber sprechen, wie sie an die Karte gelangen und sich der anderen entledigen könnten. Zum Glück hatte Kapitän Smollet bereits vor der Fahrt sämtliche Waffen und Munition in der Nähe der Kapitänskajüte verstauen lassen. Smollet wusste zwar von nichts, aber der gerissene Seemann ahnte, dass mit der Besatzung der „Hispaniola“ etwas nicht stimmte.

Nach vielen Wochen erreicht man endlich das Ziel: die Schatzinsel. Doch wie wollen Jim, Dr. Livesey, Trelawney und Kapitän Smollet, die sich nur auf drei, vier andere Männer verlassen können, gegen Silver und 18 seiner Gefolgsleute bestehen? ...

Kaum jemand würde eine solche Geschichte heute noch so inszenieren wie Wolfgang Liebeneiner und Walter Ulbrich 1966. „Die Schatzinsel“ stand einerseits in der Tradition alter Piraten- und Abenteuerfilme, andererseits war der Inszenierung deutlich anzumerken, dass sie nicht für das Kino, sondern für das Fernsehen produziert worden war. Das ist durchaus nicht negativ gemeint. Im Verhältnis zu heutigen Kino- und Fernsehproduktionen scheint der Aufwand, der für „Die Schatzinsel“ betrieben wurde, gering. Doch dem ist nicht so. Die Ausstattung u.a. des „Admiral Benbow“, der „Hispaniola“, aber auch der Kulisse für Bristol, und die Kostüme – all das war von auch heute noch beeindruckender Sorgfalt gekennzeichnet, all das zauberte eine Stimmung herbei, die von wirklicher Piraten- und Seemannsherrlichkeit zeugte, wie man sie aus den entsprechenden Romanvorlagen kannte.

Vor allem aber war „Die Schatzinsel“ ein Spiel der Charaktere. Michael Ande als junger, unbedarfter, aber äußerst mutiger junger Jim Hawkins war eine Identifikationsfigur für alle Jugendlichen, nicht nur für männliche Teenager. Ivor Dean als alter gerissener, hoch intelligenter, aber eben auch skrupelloser Pirat mit Holzbein und schwarzem Hut war ein überzeugender Gegenpart zu Jim Hawkins. Daneben brillieren Georges Riquier als schlauer Dr. Livesey, der sich als ein einem John Silver durchaus gewachsener Gegenspieler erweist, Jacques Dacqmine als anfangs ziemlich einfältiger Gutsherr Trelawney und vor allem Jacques Monod als rauer, strenger Kapitän mit dem Herz auf dem richtigen Fleck. Jacques Godin als hinterhältiger Israel Hands und Jean Saudray als Ben Gunn, der aufgrund der jahrelangen Einsamkeit auf der Schatzinsel etwas wirr geworden ist, aber dennoch seinen Verstand nicht ganz verloren hat, ergänzen die auch aus heutiger Sicht glänzende Crew dieses spannenden Spiels zwischen Verrat, Intrige, Geldgier und Treue.

Auch die Bilder von der Schatzinsel selbst, die Wildnis, die Geräusche der Tiere, das einsame Blockhaus, das zunächst zum Stützpunkt Jims und seiner Freunde wird, die Verfolgungsjagden durch die Berge der Insel usw. vermitteln ein wirkliches Abenteuer mit allem, was dazu gehört.

Einschränkend muss allerdings auch gesagt werden, dass der Film gegenüber dem Roman von Stevenson viele Szenen nicht so hart darstellt, wie sie im Buch beschrieben sind. Das mag der damaligen Zeit, dem Regisseur und möglichen Anforderungen der Produktionsfirmen, u.a. des ZDF, geschuldet sein, die wohl meinten, dass man bestimmte Dinge einem jugendlichen Publikum nicht zumuten könne.

Der Film ist endlich, seit dem 7.12.2005, auf DVD erhältlich. Die in der Box, herausgegeben von Concorde Home Entertainment, befindlichen beiden DVDs enthalten jeweils zwei Teile der vierteiligen Fernsehproduktion. Für diese Edition wurde das Material digital überarbeitet. Und das hat sich in jedem Fall gelohnt. Denn Bild- und Tonqualität sind angesichts des Alters des Films hervorragend.

Die Box enthält ein Booklet mit 16 Seiten. Darin befindet sich ein kurzes Vorwort von Michael Ande, ein längeres Interview mit dem Schauspieler, eine ausführliche Inhaltsangabe sowie „Auf der Suche nach der ‚Hispaniola’. Eine spannende Recherche“ von Jürgen Seibert, der den Spuren des Schiffs auf dem Gardasee folgt, wo ein Teil des Films gedreht wurde. Geschmückt ist das Booklet natürlich mit Bildern aus dem Film. Die DVDs selbst enthalten noch Produktionsnotizen sowie eine Bildergalerie mit Fotos von einigen Schauplätzen des Films damals und heute.

Empfehlenswert für Freunde dieses Films und der anfangs genannten anderen Abenteuerfilme jener Zeit ist auch das Buch von Oliver Kellner und Ulf Marek „Seewolf & Co. Die großen Abenteuer-Vierteiler im ZDF“, 472 Seiten mit vielen Fotos (amazon: € 29,90). Darin besprochen werden: „Robinson Crusoe“ (1964), „Don Quijote von der Mancha“ (1965), „Die Schatzinsel“ (1966), „Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer“ (1968), „Die Lederstrumpferzählungen“ (1969), „Der Seewolf“ (1971), „Cagliostro“ (1973), „Zwei Jahre Ferien“ (1974), „Lockruf des Goldes“ (1975), „Michael Strogoff“ (1976), „Die Abenteuer des David Balfour“ (1978), „Mathias Sandorf“ (1979), „Tödliches Geheimnis“ (1980), „Wettlauf nach Bombay“ (1981), „Der schwarze Bumerang“ (1982), und „Der Mann von Suez“ (1983).

© Bilder: Concorde Home Entertainment
Screenshots von den DVDs.