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Boulevard der Dämmerung (1950) Sabrina (1954) Zeugin der Anklage (1957) Manche mögen’s heiß (1959) Das Appartement (1960) Eins, zwei, drei (1961) Das Mädchen Irma La Douce (1963)
Boulevard der Dämmerung (Sunset Boulevard) USA 1950, 110 Minuten Regie: Billy Wilder
Drehbuch: Charles Brackett, Billy Wilder, D. M. Marshman jr. Musik: Franz Waxman Director of Photography: John F. Seitz Montage: Arthur P. Schmidt Produktionsdesign: Hans Dreier, John Meehan, Sam Comer, Ray Moyer
Darsteller: William Holden (Joe Gillis), Gloria Swanson (Norma Desmond), Erich von Stroheim (Max von Mayerling), Nancy Olson (Betty Schaefer), Fred Clark (Sheldrake), Lloyd Gough (Morino), Jack Webb (Artie Green), Cecil B. DeMille, Hedda Hopper, Buster Keaton, Anna Q. Nilsson, H.B Warner
Hollywood
Niemand hätte einen solchen Film erwartet, meinte Billy Wilder, einen Film aus Hollywood über Hollywood. „Und es ist sehr schwer, in Hollywood einen Film über Hollywood zu machen. Weil sie dich wirklich unter die Lupe nehmen” (1). Und so waren auch die Reaktionen aus dem Paradies bzw. der Hölle: Während einer Testvorführung fluchte Studio-Boss Mayer: „Diesen Billy Wilder sollte man nach Deutschland zurückschicken! Er beißt die Hand, die ihn füttert!” Als Wilder das hörte, antwortete er: „Ich bin Mr. Wilder und warum ficken sie sich nicht selbst?!” (2) Anfangs hatte Marshman die Idee einer Liebesgeschichte zwischen einem Stummfilmstar und einem Drehbuchautor. Mary Pickford und Mae West lehnten es ab, die weibliche Hauptrolle zu spielen. Dann begeisterte sich Wilder für Gloria Swanson, die wirklich ein Stummfilmstar gewesen war, bei Erich Stroheim einen Film gemacht hatte und die in Ausschnitten dieses Stummfilms, der nie veröffentlicht worden war, im Film zu sehen ist.
Mit Bracketts und Wilders Ideen wurde „Sunset Boulevard” zu einem Drama über das Ende der Stummfilm-Ära. „Das war das Ende von Norma Desmond. Und es war immer da, direkt vor ihnen – sie sahen es kommen, dieses ›Ding‹: Ton” (3).
Joe Gillis (William Holden) ist ein besessener Hollywood-Autor, dem jedoch kein Glück beschieden ist. Verschuldet befindet er sich auf der Flucht vor seinen Gläubigern und kommt zufällig an der ruinösen Villa am Sunset Boulevard 10086 vorbei, in dem die alternde Stummfilm-Diva Norma Desmond (Gloria Swanson) lebt und vergeblich an einem Comeback arbeitet. Jetzt sieht sie eine Chance, Gillis für einen neuen Erfolg zu benutzen. Er soll das von ihr geschriebene Drehbuch „Salomé” überarbeiten. Gillis ist wenig überzeugt von dem Stück und hält nichts von Stummfilmen, deren Zeit längst vorbei ist, willigt aber dennoch ein, weil er sich möglicherweise durch diese Arbeit von seinen Gläubigern befreien kann.
Normas Butler Max von Mayerling (Erich von Stroheim), früher ihr Regisseur und Ehemann, muss für Gillis ein Zimmer herrichten; Norma will ihn Tag und Nacht in ihrer Nähe haben, setzt ihm einen alten Stummfilm von ihr nach dem anderen vor die Nase. Gillis lässt das über sich ergehen, immer in Gedanken an das Geld. Doch als sich Norma auch noch in ihn verliebt, naht unweigerlich eine Katastrophe, zumal sich Gillis in eine junge Frau verliebt hat, die ihm die Kraft gibt, wieder eigene Drehbücher zu schreiben ...
Der Film beginnt mit einer Szene, die brachialer nicht sein kann, und zwar sowohl in bezug auf die frühen 50er Jahre, als auch im Hinblick auf Hollywood: Gillis treibt tot im Swimmingpool von Norma und beginnt aus dem Off, seine Geschichte zu erzählen. Und diese Geschichte, erzählt mit zynischer Offenheit und extrem kritischer Sicht auf die Paramount und alle anderen Produktionsfirmen, hat es in sich. „Sunset Boulevard” ist im strengen Sinne Wilders einziges Melodram, aber keines der honigtriefenden, selbstverliebten oder gar selbstmitleidigen Art, wie man sie aus den 50er Jahren kennt. Der Film ist ein erschütterndes Drama und Dokument über die Brutalität des Erfolgszwangs in der Schmiede der Filmkunst.
Eine in sich selbst verliebte, in ihre Vergangenheit eingeschnürte, weil von der Filmindustrie fallen gelassene Diva kämpft einen völlig aussichtslosen Kampf gegen den: Ton. Der Ton ist für Norma die Ankündigung des Todes, des Verfalls; sie gibt sich der Illusion hin, den Ton zum Schweigen zu bringen. (Ironie des Schicksals: „Sunset Boulevard” drehte Wilder in einer Zeit, als in Hollywood selbst die Ängste langsam aber sicher aufkamen, der Kinofilm könne vom Fernsehen verdrängt werden.) In diesen tragischen Kampf gerät jemand, der aus anderen Gründen zum ausgestoßenen Opfer des Erfolgszwangs wurde, aber noch immer glaubt, durch Abrackern, gute Ideen usw. dem Versagen als Drehbuchautor zu entkommen: Gillis.
Wilder erinnert auch durch das Auftreten anderer Stummfilmstars, etwa Buster Keaton oder von Stroheims mit dessen nie vollendetem Stummfilm „Queen Kelly” mit Gloria Swanson an die Geschichte des Verhängnisses vieler Ex-Stars. Mit den Mitteln der Stummfilm-eigenen melodramatischen Zuspitzung und der Nüchternheit eines Regisseurs, der die Szene aus eigenen Erfahrungen kennt, insbesondere was seinen eigenen Kampf nach der Emigration in die USA angeht, hält Wilder der Filmindustrie und allem und jedem, der um sie herum schwirrt, den Spiegel vor Augen – ohne Skrupel, ohne Scheu, ohne Gnade. Er zeigt aber nicht nur die Brutalität eines Geschäfts, sondern ebenso die Verwischung von Wirklichkeit und Phantasie und ihren Folgen in einer Industrie, die sich dem Zauber des Films verschrieben hat, aber die menschlichen Schicksale und Nöte darüber oft vergisst oder verdrängt.
Hollywood reagierte auf den ersten Blick erstaunlich. Der Film erhielt elf Oscar-Nominierungen und letztlich drei Oscars. Vielleicht hoffte man dadurch, Wilder den Wind aus den Segeln zu nehmen. Vielleicht.
Wie muss so manchen damaligen Filmproduzenten der Anblick Holdens, im Swimmingpool liegend, mit weit offenen Augen, dem Zuschauer direkt in die Augen „sehend”, schockiert haben; und dann erzählt er als Toter auch noch die Geschichte seines Lebens. Am Schluss des Films schließt sich der Reigen: Norma, die mit Gillis ihre vermeintlich letzte Hoffnung getötet hat, steigt ein letztes Mal die Treppe ihres Hauses herunter, hält die filmenden Journalisten für Kameraleute, denkt, sie wäre am Set. Der Filmname Norma Desmond ist zum bleibenden Symbol der Schattenseiten Hollywoods geworden.
In gewisser Weise ist „Sunset Boulevard” Wilders wichtigster Film. Wilder rechnet mit denen ab, nein, nicht von denen er lebt, denn er lebt vom Publikum, von der Öffentlichkeit und vor allem von seinen Ideen, seinem Einfallsreichtum, seinen Schauspielern –, sondern mit denen, die manchmal oder öfter über Leichen gehen, von denen sie gelebt haben. Vielleicht war der Film für Wilder ein notwendiger Schritt, um danach alles andere machen zu können, was er gemacht hat, eine Art Klarstellung gegenüber Hollywood, gegenüber dem Publikum, auch gegenüber sich selbst und seiner eigenen Erfahrungen als junger Drehbuchautor.
Ein großartiger, bissiger, ironischer, dramatischer Film, mit dem ich meine Erinnerungen an Billy Wilder in dieser Form abschließen möchte. Es hat Spaß gemacht, Mr. Wilder, sehr großen Spaß.
(1) Cameron Crowe: Hat es Spaß gemacht, Mr. Wilder?, München und Zürich 2000, S. 28. (2) Zit. n. Crowe, S. 339. (3) Crowe, S. 106.
Sabrina USA 1954, 113 Minuten Regie: Billy Wilder
Drehbuch: Billy Wilder, Samuel Taylor, Ernest Lehman, nach einem Roman von Samuel Taylor Musik: Frederick Hollander, Richard Rodgers Director of Photography: Charles Lang Montage: Arthur P. Schmidt Produktionsdesign: Hal Pereira, Walter H. Tyler, Sam Comer, Ray Moyer
Darsteller: Audrey Hepburn (Sabrina Fairchild), Humphrey Bogart (Linus Larrabee), William Holden (David Larrabee), Walter Hampden (Oliver Larrabee), John Williams (Thomas Fairchild), Martha Hyer (Elizabeth Tyson), Joan Vohs (Gretchen van Horn), Marcel Dalio (Baron St. Fontanel), Marcel Hillaire (Der Professor), Nella Walker (Maude Larrabee), Francis X. Bushman (Mr. Tyson), Ellen Corby (Miss McCardle)
Bezaubernd
„Sabrina” gilt bei vielen Kritikern und auch einem Teil des Publikums nicht als Wilders bestes Werk. 1995 versuchte sich Sydney Pollack an einem Remake unter demselben Titel mit Harrison Ford und Julia Ormond. Das Remake sei besser gelungen, kann man lesen.
Andere meinen: Das ist nicht wahr. Ist es auch nicht. Der Eindruck mag durch zweierlei Umstände entstanden sein. Bogart, der nur als Ersatzmann für den von Wilder eigentlichen favorisierten Cary Grant einsprang, mochte Wilder nicht. Wilder erzählte im Gespräch mit Cameron Crowe, dass er an John Houston gewöhnt war, mit dem er auch gerne trank, während Wilder ihn zumindest diesbezüglich abblitzen ließ bzw. wohl Bogart auch nicht gerade zum Freund haben wollte. Kurz vor seinem Tod bat Bogart Wilder zu sich, um sich für einige unschöne Dinge und Auseinandersetzungen am Set während der Dreharbeiten zu „Sabrina” zu entschuldigen, erzählt Wilder.
Zum anderen war Bogart – anders als es Grant gewesen wäre – ein mimisch wie menschlich starker Kontrast zu Audrey Hepburn bezüglich der Rollen in „Sabrina”. Wilder mochte diesen Kontrast, der den Film eigentlich auch erst äußerst sehenswert und reizvoll macht.
Audrey Hepburn spielt Sabrina, die Tochter des Chauffeurs Thomas Fairchild (John Williams), der als Fahrer im Haus der reichen Familie Larrabee arbeitet. Der alte Chef des Familienunternehmens Oliver Larrabee (Walter Hampden) hat seinem älteren Sohn Linus (Humphrey Bogart) die Geschäfte übertragen, während dessen jüngerer Bruder David (William Holden) sich seine Zeit als Lebemann und Frauenheld vertreibt.
Seit frühester Jugend ist Sabrina in David verliebt, der jedoch kaum Notiz von ihr nimmt. Um ihr Unglück zu vergessen, beschließt ihr Vater, Sabrina eine Zeitlang nach Paris zu schicken, um dort eine Kochschule zu besuchen. Der Baron St. Fontanel (Marcel Dalio) nimmt Sabrina in seine Obhut, um sie zu einer perfekten Lady zu erziehen.
Als sie nach Hause zurückkehrt, ist aus dem unglücklich verliebten Aschenputtel eine selbstbewusste Frau geworden, beeindruckt ihre Umgebung, scheint alles zu verändern. Selbst David nimmt Sabrina nun wahr und ist bezaubert von ihr. Allerdings hat er gerade mal wieder die Absicht, eine Tochter aus besserem Hause zu heiraten. Und Linus? Er versucht mit allen Mitteln, seinen Bruder von Sabrina fernzuhalten und entdeckt plötzlich Gefühle für die junge Frau, die sich ihrer Liebe zu David nicht mehr so sicher ist ...
„Es war einmal ein kleines Mädchen, das auf einem großen Besitz lebte an der Nordküste von Long Island, etwa fünfzig Kilometer von New York entfernt ...” , beginnt „Sabrina” und die Analogie zum Aschenputtelmärchen wird auch im Laufe des Films gepflegt – allerdings nicht so eindeutig und einzigartig, wie manche darüber geschrieben haben.
„Sabrina” ist sicherlich im Vergleich zu sämtlichen anderen Filmen des Meisters am meisten romantisch, ein reizendes, tragisches und doch an vielen Stellen komödiantisch gelungenes Drama, das vor allem anderen vom Ausspielen der starken charakterlichen Differenzen seiner drei Hauptfiguren lebt. Bogart als knallharter, scheinbar gefühlloser Businessman, der gegenüber sich selbst nicht wahrhaben will, Gefühle für Sabrina zu hegen, versus Holden als ausgelassenem, unerwachsenen Playboy, der letztlich unfähig ist, wirkliche Gefühle für einen anderen zu haben, versus Hepburn, die aus Verzweiflung über ihren eigenen träumerischen, fast kindlichen Romantizismus, den sie für Liebe hält, vor sich selbst und David flieht, um als – heute würde man sagen – emanzipierte Frau zurückzukehren. Kein Wunder übrigens, dass die Hepburn damals eine Zeitlang fast in jeder Ausgabe der Zeitschrift „Vogue” als Sabrina abgebildet wurde.
Die Hepburn spielte ihre Rolle für die damalige Zeit in einer überaus modernen Weise, die alle in den Bann ziehen musste, etwa in Szenen wie der, als sie von einem Baum aus dem Treiben auf dem Ball der Larrabees zuschaut. Oder als sie sich aufgrund ihrer unerfüllten Liebe umbringen will. In solchen Szenen bewies Wilder im übrigen seine Fähigkeit, der melodramatischen Zuspitzung sozusagen komödiantisch vorzubeugen, das heißt, das Tragische nicht in das melodramatisch Süßliche abgleiten zu lassen, obwohl der Film gegen Ende starke melodramatische Züge trägt.
Wilder selbst sagte einmal, der Unterschied zwischen einer Tragödie und einer Komödie sei: Wenn ein Mann die Straße entlang gehe und stolpere und dann wieder aufstehe, dann würden die Leute lachen, wenn er liegen bliebe, sei es Tragödie. Wilders Filme sind geniale Beispiele dafür, dass es weder reine „Tragödien” noch „reine” Komödien gibt. Beides wäre grässlich oder albern, weil das Leben nie nur tragisch oder nur komisch ist.
Genau diese Mischung von Tragischem und Komödiantischem ist fast allen Filmen des Regisseurs anzumerken, mal mehr tragisch, wie hier in „Sabrina”, mal mehr komödiantisch wie in „Some like it hot”, aber nie nur das eine.
Ich werde mich an dem Streit nicht beteiligen, ob „Sabrina” einer von Wilders schlechteren Filmen sei. Das ist wie alles vor allem Geschmackssache. Die Beschäftigung von Humphrey Bogart war sicherlich ein Risiko. Doch wenn man den Film sieht, fällt dies kaum ins Gewicht. Denn Wilder hatte es offensichtlich geschafft, ihn in die Handlung so zu integrieren, wie es notwendig, opportun, seinen Vorstellungen entsprechend war. Bogart agierte oft sauertöpfisch, passte nicht so recht in Komödien. Aber gerade in diesem Märchen, das in Realität aufgelöst wird (das ist der Unterschied zu Aschenputtel), platzierte Wilder „seinen” Bogart mit Erfolg. Im Mittelpunkt steht eindeutig Audrey Hepburn, die zwischen ihrer ganzen Verletzlichkeit, Verträumtheit und Verzweiflung einerseits, ihrer enormen inneren Kraft und ihrem Lebensmut auf der anderen Seite eine Sabrina und deren Entwicklung verkörperte, die auch heute noch fasziniert und damals ein modernes Frauenbild repräsentierte, das nicht so schnell in Vergessenheit geraten konnte. (Damals war sie übrigens gerade 25 Jahre alt und hatte ihren ersten großen Film hinter sich „Ein Herz und eine Krone” (1953).
P.S. Auf Wilders Einschätzung seines Werkes darf man übrigens nicht hören. Er hielt nur 10% seiner Filme für sehr gelungen, den größten Teil für misslungen. Er habe auch keine einzige Videokassette mit seinen Filmen bei sich zu Hause gehabt. Wahrscheinlich hätte er nie zugegeben, dass er alle seine Filme geliebt hat.
Zeugin der Anklage (Witness for the Prosecution) USA 1957, 116 Minuten Regie: Billy Wilder
Drehbuch: Billy Wilder, Harry Kurnitz, nach einem Roman von Agatha Christie Musik: Matty Malneck, Ralph Arthur Robert Director of Photography: Russell Harlan Montage: Daniel Mandell Produktionsdesign: Alexandre Trauner, Howard Bristol
Darsteller: Tyrone Power (Leonard Stephen Vole), Marlene Dietrich (Christine Helm Vole), Charles Laughton (Sir Wilfrid Robarts), Elsa Lanchester (Miss Plimsoll), John Williams (Brogan-Moore), Henry Daniell (Mayhew), Ian Wolfe (Carter), Torin Thatcher (Myers), Norma Varden (Emily French), Una O’Connor (Janet McKenzie), Francis Compton (Richter), Philip Tonge (Inspektor Hearne), Ruta Lee (Diana)
Verschlagen
Für Billy Wilder war Charles Laughton der größte Schauspieler, der je gelebt hat. Wilder erzählte, dass Laughton ihm Szenen vorspielte, von denen Wilder meinte, sie seien genial. Doch dann überlegte sich Laughton eine andere Version. Wieder genial. „Er hatte eine ungeheure Präsenz; eine unglaubliche Präsenz und ein wundervolles Instrument, seine Stimme. Wenn er zu den Zuschauern sprach, waren sie äußerst aufmerksam, weil sie wussten, dass er nicht nur sprach, sondern etwas sagte.” (1)
Wilder bekam für die Verfilmung des Kriminalromans von Agatha Christie aber nicht nur Laughton, sondern auch Marlene Dietrich und Tyrone Power.
Der brillante Londoner Strafverteidiger Sir Wilfrid Robarts (Charles Laughton) darf nur unter der Obhut der gestrengen Krankenschwester Plimsoll (Elsa Lanchester) das Krankenhaus verlassen, in dem er sich wegen eines Herzanfalls aufhalten musste. Doch obwohl noch nicht genesen, übernimmt er gegen den Willen von Miss Plimsoll von einem Kollegen die Verteidigung von Leonard Vole (Tyrone Power), der die reiche Witwe Mrs. French ermordet haben soll, die ihn zu ihrem Haupterben gemacht hatte. Vole bestreitet natürlich die Tat und beruft sich auf ein Alibi seiner Frau Christine (Marlene Dietrich). Für Sir Wilfrid taugt dieses Alibi nichts. Und als er die undurchsichtige Christine Vole kennenlernt, glaubt er um so weniger an die Verwertbarkeit des Alibis. Sir Wilfrid will Christine Vole daher gar nicht erst als Zeugin der Verteidigung im Prozess benennen.
Als es schließlich zur Verhandlung kommt, überrascht Christine Vole alle Anwesenden als Zeugin der Anklage mit der Aussage, das Alibi sei falsch und ihr Mann der Mörder der reichen Witwe. Vole sei später an dem betreffenden Abend nach Hause gekommen, als er angegeben habe, zudem mit einem blutverschmierten Jackett.
Doch nicht nur diese Überraschung müssen Vole und Sir Wilfrid verkraften. Christine Vole heißt eigentlich Christine Helm und ist mit Vole anscheinend gar nicht verheiratet. Und schließlich tauchen auch noch Liebesbriefe von Christine an einen Max auf, die Sir Wilfrid von einer geheimnisvollen Frau erhält ...
Wilder inszenierte mit „Witness for the Prosecution” eines der spannendsten Justizdramen der Filmgeschichte. Der Film lebt nicht zuletzt von etlichen überraschenden Wendungen; Wilder führt den Zuschauer bis zum Schluss an der Nase herum, bis endlich klar wird, wer der Mörder ist und welche Hintergründe die Tat provozierten. Doch nicht nur die Umsetzung des von Wilder selbst geschriebenen Drehbuchs, vor allem auch die schauspielerischen Leistungen von Charles Laughton und Marlene Dietrich entfachen Spannung bis zum Schluss.
Laughton spielt den kränkelnden, aber mit Witz und eisernem Willen über seinen Gesundheitszustand hinwegsehenden Strafverteidiger, dem es zwar nicht an Intelligenz und Einfühlungsvermögen fehlt, der aber selbst von den etlichen Wendungen des Falls immer wieder zutiefst überrascht wird, fast in seiner Berufsehre gekränkt erscheint. Ihm gegenüber stehen Marlene Dietrich als geheimnisvolle, undurchsichtige, aber mit allen Wassern gewaschene, verruchte Christine Vole sowie ein locker aufspielender Tyrone Power.
Wilder lässt seine Hauptdarsteller die Handlung ausspielen, ausreizen bis zur nächsten Wende, bis zum Ende. „Witness for the Prosecution” ist Komödie und Gerichtsdrama zugleich. Der Film ist Hitchcock-like, doch Wilder ging mehr Risiko ein als der Krimi-Spezialist: Er ließ insbesondere Laughton dessen Rolle als Strafverteidiger bis an die Grenzen des Möglichen ausloten.
Kaum ein Gerichtsdrama hat mich in der Filmgeschichte so fasziniert wie „Zeugin der Anklage”. Wieder ein Wilder-Streifen, bei dem alles stimmt, Schauspieler, Plot, Spannungsmomente, usw., dabei mit etlichen komödiantischen Effekten, Laughton in einer lebhaften, begeisternden Rolle, die Dietrich auf einem Höhepunkt ihrer Karriere – was will man mehr. Und im Unterschied zu Hitchcock präsentiert Wilder beide Seiten der Wahrheit.
(1) Cameron Crowe: Hat es Spaß gemacht, Mr. Wilder?, München und Zürich 2000, S. 30 f.
Manche mögen’s heiß (Some Like It Hot) USA 1959, 129 Minuten Regie: Billy Wilder
Drehbuch: Billy Wilder, I.A.L. Diamond Musik: Adolph Deutsch, Joe Grey, Bert Kalmar, Leo Wood, A.H. Gibbs, Matty Malneck, Herbert Stothart Director of Photography: Charles Lang Montage: Arthur P. Schmidt Produktionsdesign: Ted Haworth, Edward G. Boyle
Darsteller: Marilyn Monroe (Sugar Kane), Tony Curtis (Joe / Josephine), Jack Lemmon (Jerry / Daphne), George Raft (Spats Colombo), Pat O’Brien (Mulligan), Joe E. Brown (Osgood Fielding III), Nehemiah Persoff (Bonaparte), Joan Shawlee (Sweet Sue), Billy Gray (Sig Poliakoff), George E. Stone (Zahnstocher-Charlie), Dave Barry (Beinstock), Mike Mazurki (Handlanger von Spats), Harry Wilson (Handlanger von Spats), Beverly Wills (Dolores), Barbara Drew (Nelli)
Nobody Is Perfect
Zu den besten Komödien der Filmgeschichte zählt für mich neben „Leoparden küsst man nicht” und „Ich war eine männliche Kriegsbraut” – beide von Howard Hawks – das Meisterwerk von Billy Wilder, dem am 27.3.2002 verstorbenen amerikanischen Regisseur. „Some Like It Hot” ist wohl einer der wenigen Filme, bei dem alles „stimmt”. Den musste ich mir heute unbedingt ansehen.
Prohibitionszeiten, 1929. Zwei Bar-Musiker, Saxophonist Joe (Tony Curtis) und Bassist Jerry (Jack Lemmon) arbeiten in einer der illegalen „Flüsterkneipen”, in denen heimlich Alkohol ausgeschenkt wird. Die Kneipe ist als Beerdigungsinstitut getarnt, doch die Polizei hebt den Laden aus und Joe und Jerry verlieren ihren Job. Doch nicht genug, werden sie auch noch Zeugen eines Massakers ihres bisherigen Chefs „Gamaschen-Colombo” (George Raft) an Gangster-Konkurrenten. Sie müssen fliehen; denn Colombo will sie als Zeugen eliminieren.
Da kommt ihnen eine absurde, aber sehr hilfreiche Idee: Sie verkleiden sich als Frauen, schminken sich entsprechend, um in einer Kapelle aus lauter Frauen einen Platz zu finden, die gerade von Chicago gen Süden unterwegs sind. Aus Joe wird Josephine, aus Jerry Daphne.
Auf der Fahrt mit dem Zug zu einem Gastspiel in Miami lernt Jerry die blonde und bildschöne Sugar Kane (Marilyn Monroe) kennen und verliebt sich in sie. Auch Joe ist entzückt von ihr. Doch Sugar Kane hat nur einen Traum: Sich im sonnigen, heißen Florida einen Millionär zu angeln.
Eine schwierige Situation für den mittellosen Joe. Einfälle muss man haben: In Miami angekommen spielt er tagsüber als Mann den angeblichen Öl-Erben und Besitzer einer prunkvollen Jacht, die in Wirklichkeit dem alten, aber immer noch Playboy spielenden Millionär Osgood Fielding III (Joe E. Brown) gehört; nur des Nachts bleibt Joe ganz Dame. Ein Spielchen, dass irgendwann auffliegen muss, auch wenn sich Sugar ganz heftig in Joe verliebt.
Und Daphne? Die hat als Josephines „beste Freundin” ganz besondere Probleme. Denn Osgood verliebt sich unsterblich in sie / ihn und macht Daphne / Jerry ordentlich den Hof.
Als dann noch Gamaschen-Colombo zu einem Gangsterkongress in Miami auftaucht, wird die Situation immer verworrener ...
Wilder setzte hier über zwei Stunden ein wahres Feuerwerk in Gang, das bis zum Schluss des Films anhält: Slapstick, Situationskomik, exzellente, auch zweideutige Dialoge machen „Some Like It Hot” zu einer Komödie der Spitzenklasse. Dabei sind bei den verschiedenen Versuchen, Verkleidungs-Komödien in Szene zu setzen, oftmals nicht mehr als billige Klamauk-Stücke in der Nachfolge von „Charlys Tante” herausgekommen. Anders bei Wilder.
Wilder setzte bei der mehr oder weniger unfreiwilligen Verkleidung seiner beiden Musiker-Helden nicht auf dumme Witze oder dreisten Unsinn, sondern spielte verbal wie visuell mit dem „kleinen” Unterschied der Geschlechter, ja, er reizte ihn bis zur letzten Szene des Films voll aus.
Er treibt seine beiden Männer als Frauen durch die Handlung. Sie werden verfolgt von Gangstern als scheinbarer Inbegriff der Männlichkeit und flüchten in die Rolle von Frauen, um sich zu schützen.
Die auf der Flucht befindlichen Frauen-Männer wiederum konfrontiert er mit dem Traum der naiven Blondine, die ihr höchstes Glück darin sieht, sich einen Millionär zu angeln – egal wie er aussieht, Hauptsache Geld. Da jagen die Frauen nach Millionären und träumen von Juwelen, „the girls best friends”; Männer sind hier nur als Geldgeber wichtig, wenn sie trotzdem gut aussehen, umso besser. Und die Männer? Sie müssen in das Weibliche schlüpfen, um der brutalen Männlichkeit zu entgegen. Doch das Ganze hat einen Haken. Denn wie will man einer Frau beweisen, dass man sie liebt, wenn die – im wesentlichen – nur auf das Geld scharf ist? Persönlichkeitsspaltung, nachts Frau, tagsüber Mann.
Doch Romanze mit oder ohne Geld ist nicht angesagt. Immer wenn es zu romantisch wird, sticht Wilders Ironie dazwischen oder er greift zur Maskerade: In einer Torte verbirgt sich ein Killer, in einem Sarg Whiskey und ein angeblich Gefühlloser entpuppt sich als sehr Begieriger.
Wilder treibt dieses Spiel der Geschlechter und vertauschten Rollen bis zum Exzess. Und der berühmte „Schlussakkord” bringt es auf den Punkt:
Jerry: „Sieh mal, Osgood ... ich will ganz offen sein. Wir können überhaupt nicht heiraten.” Osgood: „Warum nicht?” Jerry: „Also erstens bin ich nicht naturblond.” Osgood: „Das macht mir überhaupt nichts aus.” Jerry: „Und ich rauche. Ich rauche wie ein Schlot.” Osgood: „Ist mir völlig egal.” Jerry: „Und dazu habe ich eine schreckliche Vergangenheit. Ich lebe seit drei Jahren mit einem Saxophonspieler zusammen.” Osgood: „Ich verzeihe Dir.” Jerry: „Ich kann niemals Kinder kriegen!” Osgood: „Wir adoptieren welche.” Jerry: „Du verstehst immer noch nicht. Ich bin ein MANN.” Osgood: „Na und... Niemand ist vollkommen.”
In dieser Schlusssequenz steckt alles, worauf es in den Beziehungen der Geschlechter in Wilders Augen letztlich ankommt. Gerade dass hier zwei Männer diesen Dialog führen, verleiht dem Höhepunkt des Films an unschlagbarer Überzeugungskraft. Für Wilder zählt die Liebe, und zwar die, die keine Bedingungen, Voraussetzungen stellt oder an Erwartungen geknüpft ist. Kaum zu glauben, wie er das in einer Komödie realisieren konnte.
Wenn ein Film zu den besten, sagen wir: 50, des letzten Jahrhunderts gehört, dann sicherlich „Some Like It Hot”. Für Filmliebhaber ein Muss.
Das Appartement (The Apartment) USA 1960, 125 Minuten Regie: Billy Wilder
Drehbuch: Billy Wilder I.A.L. Diamond Musik: Adolph Deutsch Director of Photography: Joseph LaShelle Montage: Daniel Mandell Produktionsdesign: Alexandre Trauner, Edward G. Boyle
Darsteller: Jack Lemmon (Calvin Clifford Baxter), Shirley MacLaine (Fran Kubelik), Fred MacMurray (Jeff D. Sheldrake), Ray Walston (Joe Dobisch), Jack Kruschen (Dr. Dreyfuss), David Lewis (Al Kirkeby), Hope Holiday (Margie Mag Dougall), Joan Shawlee (Sylvia), Naomi Stevens (Mildred Dreyfuss), Johnny Seven (Karl Matuschka)
Bissig
Am 27.3.2002 starb Billy Wilder im Alter von 95 Jahren. Schon Ende der 20er Jahre begann seine Karriere als Drehbuchautor, u.a. 1931 für die Kästner-Verfilmung „Emil und die Detektive” (1931). Bekannt wurde er aber vor allem durch seine Filme „Das verlorene Wochenende” (1945, mir Ray Milland), „Zeugin der Anklage” (1958, mit Marlene Dietrich und Charles Laughton) und seine Komödien „Manche mögen’s heiß” (1959, mit Marilyn Monroe, Jack Lemmon, Tony Curtis), „Das Appartement” (1960) und zuletzt „Buddy, Buddy” (1981, mit Jack Lemmon, Walter Matthau und Klaus Kinski).
„Das Apartment” gehört zu der Sorte dramatischer Komödien, oder soll man sagen komödiantischer Dramen, die auf den ersten Blick sehr leicht und fast beschwingt von den Problemen und Schwächen von Menschen in der Großstadt erzählen.
Der schon fast grenzenlos gutmütige C.C. Baxter (Jack Lemmon) ist Sachbearbeiter in der Prämienabteilung der New Yorker Versicherungsgesellschaft „Consolidated”, Single und bewohnt ein hübsches Appartement. Sein Leben verläuft in ruhigen Bahnen; ein Tag gleicht dem anderen. Doch irgendwann hat Baxter, von dem alle Kollegen wissen, dass er allein lebt, sein Appartement einem von ihnen stundenweise für ein Schäferstündchen zur Verfügung gestellt. In Baxters Leben kommt Bewegung; denn diese Gefälligkeit hat sich im Eiltempo bei allen verheirateten Männern in der Versicherung herumgesprochen.
Von da an wird Baxters Appartement mehr oder weniger zu einem Stundenhotel. Die Ehemänner und deren Geliebte geben sich die Klinke in die Hand – bis hinauf zu Personalchef Sheldrake (Fred MacMurray), der für seine Liaison mit der Fahrstuhlführerin Fran Kubelik (Shirley MacLaine) Baxters Wohnung in Anspruch nimmt.
So muss sich C.C abends in Bars oder sonst wo herumtreiben, manchmal auch im Freien auf einer Parkbank nächtigen. Folgen: Chronischer Schnupfen, lobendes Schulterklopfen und eine Beförderung bei „Consolidated”. Eigentlich geht ihm das alles über die Hutschnur, doch Baxter ist unfähig, dem Treiben ein Ende zu bereiten.
Als dann am Weihnachtsabend Fran in C.C.’s Appartement versucht, sich mit Schlaftabletten umzubringen, weil Sheldrake sich nie von seiner Frau trennen würde und Fran für ihn immer nur das fünfte Rad am Wagen, eine stundenweise Geliebte, bleiben würde, rettet ihr Baxter das Leben ...
Es ist nicht von ungefähr, dass Wilder eine Versicherungsgesellschaft, ausgerechnet auch noch mit dem Namen „Consolidated”, zum Verbindungsglied seiner Figuren in diesem Film gemacht hat. Man versichert gegen die Risiken des Lebens, gegen alle Unbill; das Leben wird „konsolidiert”. Das Versprechen einer jeden Versicherung ist, Menschen behagliche Sicherheit zu bieten. Gerade läuft im Kino eine Werbung der Volksbank unter dem Motto „Die Bank fürs Leben”. Doch alle – die Versicherer wie die Versicherten – wissen letztlich, dass es solche Sicherheit nicht gibt. Die Werbung gaukelt etwas vor und jeder weiß es.
Die Figuren in Wilders Film machen sich vor allem selbst etwas vor: Die verheirateten Männer sind unfähig, wirklich zu lieben, betrügen ihren Frauen und ihre Geliebten, allen voran Personalchef Sheldrake. Fran bildet sich ein, J.D. würde sie wirklich lieben, und verspricht sich ein Leben mit Sheldrake, in dem Heimlichkeiten endlich aufhören. Baxter ergeht sich in Gefälligkeiten, Gutmütigkeit und falsch verstandener Kollegialität und Freundschaft, vielleicht auch in der klammheimlichen Hoffnung, für seine Nachgiebigkeit das zu bekommen, was er auch erhält: Beförderung. C.C. arbeitet in der Prämienabteilung und genauso verläuft sein Single-Dasein: Prämien bekommt er von den Kollegen, deren Lebenszweck nur noch darin zu bestehen scheint zu betrügen: ihre Frauen und ihre Versicherten, denen sie eine – nötige oder unnötige – Versicherung nach der anderen aufschwatzen. Ständig suchen sie nach der Erfüllung ihres Lebens und ergehen sich in Äußerlichkeiten und (Selbst-)Betrug.
Das Leben in New York als Tauschgeschäft: Gibt’s Du mir, geb ich Dir, alles hinter einer brüchigen Fassade von vorgetäuschter Moral und Sicherheit. Die Geschäftsmoral ist genauso doppelbödig wie die private. Nicht Sicherheit, Verachtung prägt die Beziehungen. Wilder reizt dieses Spiel bis zur Groteske hin aus. Sheldrake verliert Fran. Das Appartement wird für die Herren geschlossen. Wilder siegt am Schluss – zumindest moralisch – über die Verlogenheit: C.C. und Fran finden zu sich selbst und zueinander, ausgerechnet am Sylvesterabend, an dem die anderen ihre guten Vorsätze bekunden, an die sie selbst nicht glauben.
„Das Appartement” ist bösartige, scharfe Gesellschaftskritik, aber nicht bösartig zu seinen Figuren. Wilder gelingt dies, indem er zwar die Fassade wegreißt, Sheldrake und die anderen jedoch nicht als Menschen desavouiert, sondern „nur” ihr Verhalten bloßstellt.
Das Gespann Lemmon, MacMurray und MacLaine hätte nicht besser gewählt werden können. Lemmon spielt hier, was er in fast allen seinen Filmen, besonders mit Walter Matthau, gespielt hat: den in sich und in der Welt um sich verlorenen Einzelgänger, der sich abmüht, nach seinen Vorstellungen handelt, die sich als unzureichend erweisen, und doch am Schluss irgendwie einen Sieg davonträgt: den sympathischen Looser auf Zeit, der die Realität doch irgendwie besiegt, ohne sich selbst zu vergewaltigen; den Verlorenen, der genug innere Kraft besitzt, sich zu verändern und gleichzeitig zu bleiben, wer er ist.
„Das Appartement” ist auch heute noch eine der sehenswertesten Komödien der Filmgeschichte. Wilder treibt seine Moralkritik fast bis zum Exzess, aber eben nur fast. Der Film endet nicht mit einem vernichtenden Sieg über die in ihrem Verhalten bloßgestellten Figuren, also als Sieg eines Moralapostels, sondern in einer beinahe freundschaftlichen Geste.
Eins, zwei, drei (One, two, three) USA 1961, 115 Minuten Regie: Billy Wilder
Drehbuch: I. A. L. Diamond, Billy Wilder Musik: André Previn Director of Photography: Daniel L. Fapp Montage: Daniel Mandell Produktionsdesign: Robert Stratil, Heinrich Weidemann
Darsteller: James Cagney (C. R. MacNamara), Horst Buchholz (Otto Ludwig Piffl), Pamela Tiffin (Scarlett Hazeltine), Arlene Francis (Phyllis MacNamara), Howard St. John (Hazeltine), Hanns Lothar (Schlemmer), Lieselotte Pulver (Ingeborg, Sekretärin), Leon Askin (Peripetchikoff), Ralf Wolter (Borodenko), Karl Lieffen (Fritz, der Chauffeur), Hubert von Meyerinck (Graf von Droste-Schattenburg), Loïs Bolton (Melanie Hazeltine), Peter Capell (Mishkin), Til Kiwe (Reporter), Henning Schlüter (Dr. Bauer), Karl-Ludwig Lindt (Zeidlitz)
Turboschnell
Mitten im „Kalten Krieg”, ausgerechnet im Jahr des Baus der Berliner Mauer – für die einen ein angeblich „antifaschistischer Schutzwall”, für die anderen Ausgeburt des Totalitarismus – drehte Billy Wilder eine turboschnelle Komödie, bei dem alle, auf beiden Seiten der Mauer, ihr verdientes Fett wegbekommen. Kein Wunder, dass der Film – der Mauerbau platzte mitten in die Dreharbeiten hinein – vom Publikum abgelehnt und erst viel später zum Kultfilm wurde.
Coca-Cola-Filialchef für Westberlin MacNamara (James Cagney) ist ein pfiffiger Geschäftsmann mit zukunftsweisenden Ideen: Warum sollte es unmöglich sein, das im Westen so beliebte Gesöff nicht hinter den eisernen Vorhang zu exportieren? Gesagt, aber noch nicht getan. Denn vorerst steht er erst in Verhandlungen mit den Mitgliedern der sowjetischen Handelskommission und (jedenfalls äußerlich) strammen und hundertfünfzigprozentigen Kommunisten Peripetchikoff (Leon Askin), Borodenko (Ralf Wolter) und Mishkin (Peter Capell). Zur Seite stehen MacNamara die blonde Sekretärin Ingeborg (Lieselotte Pulver), der ewig und drei Tage salutierende Fahrer Fritz (Karl Lieffen) und der schmierige Assistent Schlemmer (Hanns Lothar).
Doch da taucht das lebenslustige Töchterchen des Konzernchefs Hazeltine (Howard St. John), Scarlett (Pamela Tiffin), anlässlich eines Europa-Trips in Berlin auf. Und nun ist für MacNamara höchste Aufmerksamkeit geboten. Denn Scarlett ist hinter Männern her und Papa hat MacNamara den ehrenvollen, aber äußerst mühsamen Auftrag erteilt, auf Scarlett aufzupassen. Anfangs gelingt ihm dies ja noch ganz gut. Doch dann verliebt sich die Kleine ausgerechnet in Otto Ludwig Piffl (Horst Buchholz), einen sehr gut aussehenden, doch strammen Jungkommunisten aus dem Ostteil der Stadt. MacNamara versucht alles, um diese Verbindung zu verhindern, doch dann erfährt er, dass Scarlett und Otto heimlich geheiratet haben. MacNamaras Einfallsreichtum ist gefragt. Mit einer List will er dafür sorgen, dass die Ehe annulliert wird. Doch zu allem Überfluss ist die junge Lady auch noch schwanger. Und so muss MacNamara dafür sorgen, dass Otto vor dem Eintreffen von Mr. und Mrs. Hazeltine in Berlin aus den Klauen der ostdeutschen Behörden befreit und vor allem eine westliche Gesinnung zuteil wird ...
Wilder entfacht in dieser Komödie ein wahres Feuerwerk von Humor und satirischen Einlagen gen Ost wie gen West, wie man es selten zu sehen bekommt. Die Dialoge schäumen vor Wortwitz und bissigen Bemerkungen gegen die Deutschen diesseits und jenseits des iron curtain, aber ebenso gegen die Geschäftstüchtigkeit der Amerikaner, für deren Erfolge jedes Mittel recht zu sein scheint. Um nur ein paar Beispiele zu zitieren:
Schlemmer: Die Herren Kommunisten sind eingetroffen. MacNamara: Sollen reinkommen! [...] Peripetchikoff: Also Genossen, was sollen wir jetzt machen? Er hat es, wir wollen es. Sollen wir annehmen seinen erpresserischen kapitalistischen Handel? Mishkin: Wir abstimmen. Peripetchikoff: Ich stimme ja. Mishkin: Ich stimme ja. Peripetchikoff: Also zwei von drei. Handel in Ordnung! Borodenko: Genossen, bevor ihr macht Dummheit, ich muss warnen. Ich bin nicht Mitglied von Handelskommission, ich bin Geheimagent mit Auftrag, Euch zu überwachen. Mishkin: In dem Fall ich stimme nein. Handel ist aus. Borodenko: Aber ich sage ja! Peripetchikoff: Wieder zwei von drei. Handel in Ordnung.
Oder:
Otto: Sind denn alle Menschen in der Welt korrupt? Peripetchikoff: Ich kenne nicht alle Menschen.
Oder:
MacNamara (der allen Deutschen den Nazismus-Vorwurf macht, nicht weil er Antifaschist ist, sondern um sie gefügig zu machen): Na also, unter uns Schlemmer, was haben sie während des Krieges gemacht? Schlemmer: Ich war in der Untergrund – the underground. MacNamara: Widerstandskämpfer? Schlemmer: Nein, nein – Schaffner. In der Untergrund, in der U-Bahn. MacNamara: Und natürlich waren sie kein Nazi und waren nie für Adolf. Schlemmer: Welchen Adolf?
Und noch einen:
MacNamara: Ein Teil der östlichen Volkspolizisten war bösartig und unwillig. Dafür waren andere unartig und böswillig.
Doch die Feinheiten des Wilderschen Humors, der die kleinen und großen Schwächen der Deutschen auf beiden Seiten und die Geschäftspraktiken amerikanischer Multis ordentlich auf die Schippe nahm, fiel in der Konfrontation des kalten Krieges wohl niemandem sonderlich auf. Die bundesrepublikanische Presse war teilweise entsetzt, warf Wilder Attacken gegen die gewünschte Wiedervereinigung vor und einiges mehr.
Heute kann nichts mehr darüber hinwegtäuschen, dass in „One, Two, Three” die Flachheit, Überzogenheit und auch Lächerlichkeit der Ideologien und der sich entsprechend verhaltenden Figuren des cold war auf beiden Seiten treffend in Szene gesetzt wurden.
James Cagney, der alte Haudegen aus den Krimis der 40er Jahre, ist hier in seiner letzten Hauptrolle zu sehen. Cagney kennt keine Pause beim Rennen durch den west-östlichen Parcours, rast an der Grenze zur völligen Erschöpfung durch den Film von A bis Z. Horst Buchholz überzeichnet den strammen Kommunisten derart grandios, dass er einem irgendwie schon wieder leid tun kann. Doch Buchholz lässt hinter der ganzen Worthülsenakrobatik des Marxismus-Leninismus durch die Überzogenheit der Darstellung den Menschen durchscheinen, der sich verliebt hat. Die übrige Besetzung des Films – u.a. der fast schon vergessene, hochbegabte, leider viel zu früh verstorbene Hanns Lothar (aus der Schauspielerfamilie Neutze), Lilo Pulver als reizvolle Sekretärin mit Strip-Einlage, Leon Askin als verschmitzter Handels-Kommunist oder Karl Lieffen (bekannt u.a. aus „Tadellöser & Wolf”) als devoter, äußerst komödiantischer Chauffeur, nicht zu vergessen Pamela Tiffin als wilde Unternehmer-Göre – ergänzen das Wildersche Feuerwerk hervorragend.
„One, Two, Three” ist nicht nur ein Muss für Wilder-Fans. Man wird durch Witze, die Schlag auf Schlag kommen, frech, ungestüm und rücksichtslos sind, förmlich überrollt, kommt aus dem Staunen und Lachen kaum heraus. Übrigens hat Wilder in diesem Film seinen Hass auf Rock’n’Roll auch noch untergebracht: in einer Folterszene mit dem damaligen Hit „Itsy Bitsy Teenie Weenie Yellow Polka Dot Bikini” (der deutsche Schlager hieß: „Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu Strand-Bikini”), vorgetragen von einer lächerlichen Popstar-Figur namens Choo Choo.
Das Mädchen Irma La Douce (Irma La Douce) USA 1963, 135 Minuten Regie: Billy Wilder
Drehbuch: Billy Wilder, I. A. Diamond, nach einem Bühnenstück von Alexander Breffort Musik: André Previn Director of Photography: Joseph LaShelle Montage: Daniel Mandell Produktionsdesign: Alexandre Trauner, Maurice Barnathan, Edward G. Boyle
Darsteller: Jack Lemmon (Nestor Patou / Lord X), Shirley MacLaine (Irma La Douce), Lou Jacobi (Moustache), Bruce Yarnell (Hippolyte), Herschel Bernardi (Inspektor Lefèvre), Hope Holiday (Lolita), Joan Shawlee (Amazon Annie), Grace Lee Whitney (Kiki the Cossack), Paul Dubov (André), Howard McNear (Concierge), Cliff Osmond (Polizist), Diki Lerner (Jojo), Herb Jones (Casablanca Charlie), Ruth Earl (ein Zebra-Zwilling), Jane Earl (zweiter Zebra-Zwilling)
Kampf um Irma
„Irma La Douce” ist einer jener Filme, die Wilder selbst für einen Misserfolg hielt. Das Publikum war da ganz anderer Meinung. Wilder sagte im Gespräch mit Cameron Crowe, einige Szenen in diesem „Mezzo-Musical” seien „ein bisschen dick aufgetragen”. Außerdem sei es ein Problem, dass Leute nicht die Sprache des Landes sprechen, in dem gespielt wird (1). Jack Lemmon und Shirley MacLaine spielen Franzosen. Lemmon sei als Franzose viel zu amerikanisch. „Das ganze Ding war viel zu amerikanisch, um glaubwürdig zu sein. Ich glaubte es nicht ... und sie auch nicht. Der Film war ein Flop in Paris, in Frankreich. Aber er war ein großer Hit hier: In Deutschland mochten sie ihn, weil sie glaubten, die Franzosen besser zu verstehen. [Wir lachen]” (2).
Obwohl Wilder mit diesen Einwänden bezüglich der kulturellen und sprachlichen Divergenzen nicht ganz Unrecht hatte, ist „Irma La Douce” ein bestechender, brillanter Film, der auch bei neuerlicher Betrachtung nicht an seinem Reiz verloren hat. Die Einwände spielen in der Gesamtwürdigung des Streifens meinem Gefühl nach eine untergeordnete Rolle.
Die Rue Casanova in Paris ist das Prostituiertenviertel, in dem auch Irma La Douce (Shirley MacLaine) dem Gewerbe nachgeht. Ihr Zuhälter Hippolyte (Bruce Yarnell), „Der Ochse” , ist mit ihr äußerst zufrieden, denn sie verdient nicht schlecht, ist begehrt bei den Freiern. Zuhälter, Prostituierte und Polizei haben sich in dem verruchten Bezirk arrangiert. Alles läuft seinen gewohnten Gang. Doch als der Flic Nestor Patou (Jack Lemmon) in den Bezirk versetzt wird, ist er entsetzt über die Verhältnisse dort und nimmt sich vor, gründlich aufzuräumen. Bei einer eigenmächtigen Razzia im Hotel Casanova, in dem sich die Freier mit ihren Prostituierten treffen, verhaftet er u.a auch seinen eigenen Chef, Inspektor Lefèvre (Herschel Bernardi) – und wird prompt entlassen.
Nestor ist am Boden zerstört, begibt sich in die Kneipe von Moustache (Lou Jacobi), in der die Prostituierten und ihre Zuhälter verkehren, und legt sich mit Irmas Zuhälter an, der ihm körperlich überlegen ist. Glück im Unglück fällt Hippolyte ein Kronleuchter auf den Kopf, und plötzlich ist Nestor der Held der Anwesenden, „Der Tiger”. Irma vertraut sich ihm an, Nestor wird ihr neuer Beschützer, will aber nicht wahrhaben, dass er sich damit selbst zum Zuhälter machen müsste, zumal er sich in die schöne Frau längst verliebt hat und nicht ertragen kann, dass sie ihrem Gewerbe weiterhin nachgeht. So kommt er auf eine Idee: Er verkleidet sich abends in den angeblich reichen „Lord X”, als der er Irma das Versprechen abnimmt, nur noch mit ihm zu verkehren, keine anderen Freier mehr zu empfangen und abends mit ihr Patiencen zu legen. Das alles kostet Geld. Und Nestor muss tagsüber in den Markthallen schwer arbeiten, um das viele Geld für seine Abende mit Irma zu verdienen.
Das Doppelspiel droht schließlich aufzufliegen, als Irma das vermeintliche Schloss des reichen „Lord X” sehen will. Nestor täuscht einen Selbstmord vor, indem er die Kleider des Lords in die Seine wirft. Doch dabei beobachtet ihn ausgerechnet Hippolyte, der ihn bei Lefèvre anzeigt. Nestor wandert ins Gefängnis, verurteilt zu 15 Jahren, zumal auch sein Freund Moustache behauptet, er habe „Lord X” aus Eifersucht getötet. Nestor ist verzweifelt. Nur ein Ausbruch aus dem Gefängnis scheint ihn noch retten zu können ...
Das Erstaunliche an Wilders Inszenierung ist zunächst einmal die uneingeschränkte, offene, deutliche Thematisierung eines Milieus zu einer Zeit (1963), in der dies nicht gerade auf der Tagesordnung stand. Die Frivolität, das Lockere dieses Films, aber auch der Charme, die Lebensfreude und der Humor, mit der Shirley MacLaine die Prostituierte Irma spielt, kommen in einer schier unglaublichen Selbstverständlichkeit daher. Die Dialoge sprühen vor dieser Ehrlichkeit, etwa wenn Lemmon Moustaches Worte verinnerlicht, warum man wegen käuflicher Liebe ins Gefängnis gehen soll, während der Hass auf einen anderen nicht bestraft würde.
Gleichzeitig führt Wilder die Zerrissenheit seiner Personen dem Betrachter vor Augen. Irma hat sich mit ihrem Dasein im Rotlicht-Milieu scheinbar abgefunden, doch als „Lord X” auftaucht, ihr das Leben in einem Schloss vorgaukelt, beginnt sie wieder zu träumen und zu hoffen. Nestor, der die Verlogenheit seines Berufsstandes im Bezirk erkennt und verachtet, sieht keinen anderen Weg, als sich in eine Art konstruierte Persönlichkeitsspaltung zu begeben, morgens Zuhälter, abends der „reine” Lord, und zerbricht fast daran. Allerdings kommt auch hier Wilders komödiantische Ader voll zum Tragen. Denn Lemmon spielt dieses Hin- und Hergerissensein nicht in einer extrem tragischen Rolle, sondern mit viel Humor.
Diese Aufspaltung seiner Person in Zuhälter und Lord ist aber andererseits nur die Vorstufe dazu, die Liebe zu Irma ohne Verlogenheit, ohne Doppelmoral leben zu können – ein riskanter Weg, den Nestor geht. Doch gerade hier zeigt Wilder sich, nein nicht als Moralist, sondern als – wenn auch vielleicht skeptischer – Optimist. Leben ist Risiko, Sicherheit ist eine Illusion. Nestor geht seinen Weg, manchmal verzweifelt, aber er steht immer wieder auf, flieht aus dem Gefängnis, lässt sich alles Mögliche einfallen, um wieder eins, eine Person zu werden. Warum? Weil Wilder an die Liebe glaubte.
Wilder treibt die Handlung in „Irma La Douce”, obwohl ein romantischer Film, nicht in die Melodramatik, weil er die Tragik des Geschehens – wie oft in seinen Filmen – immer wieder komödiantisch „bricht”. Wilder bleibt realistisch, optimistisch, und auf eine sozusagen überprüfbare Art, in einem überschaubaren Rahmen steckt er die Kriterien von berechtigter Hoffnung ab. Grandios, weil das Konstruierte, das jede filmische Handlung ausmacht, unmerklich, leicht, manchmal beschwingt den Zuschauer mitreißt, ohne dass es konstruiert wirkt, die Konstruktion also nicht vordergründig ist, sondern die Geschichte, die erzählt wird, Gegenstand bleibt.
Wilder hatte sich für Shirley MacLaine entschieden und die Bewerbung Brigitte Bardots für die Rolle der Irma abgelehnt. Das war sicher eine richtige Entscheidung; die MacLaine ist großartig anzusehen und es ist kaum vorstellbar, dass es die Bardot bezaubernder hätte machen können. Auch nach fast 40 Jahren ist dieser Film ein Ereignis sondergleichen, spritzig, bunt, sexy, und gehört für mich zu den Kultfilmen des 20. Jahrhunderts.
(1) Cameron Crowe: Hat es Spaß gemacht, Mr. Wilder?, München und Zürich 2000, S. 86. (2) Ebd. S. 191.
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